Sonntag, 29. April 2012

König Drosselbart

52. Märchen aus der Sammlung der Brüder Grimm


Ein König hatte eine Tochter, die war über alle Maßen schön, aber dabei so stolz und übermüthig, daß ihr kein Freier gut genug war. Sie wies einen nach dem andern ab, und trieb noch dazu Spott mit ihnen. Einmal ließ der König ein großes Fest anstellen, und ladete dazu aus der Nähe und Ferne die heirathslustigen Männer ein. Sie wurden alle in eine Reihe nach Rang und Stand geordnet; erst kamen die Könige, dann die Herzöge, die Fürsten, Grafen und Freiherrn, zuletzt die Edelleute. Nun ward die Königstochter durch die Reihen geführt, aber an jedem hatte sie etwas auszusetzen. Der eine war ihr zu dick, „das Weinfaß!“ sprach sie. Der andere zu lang, „lang und schwank hat keinen Gang.“ Der dritte zu kurz, „kurz und dick hat kein Geschick.“ Der vierte zu blaß, „der bleiche Tod!“ der fünfte zu roth, „der Zinshahn!“ der sechste war nicht gerad genug, „grünes Holz, hinterm Ofen getrocknet!“ Und so hatte sie an einem jeden etwas auszusetzen, besonders aber machte sie sich über einen guten König lustig, der ganz oben stand, und dem das Kinn ein wenig krumm gewachsen war. „Ei,“ rief sie und lachte, „der hat ein Kinn, wie die Drossel einen Schnabel;“ und seit der Zeit bekam er den Namen Drosselbart. Der alte König aber, als er sah daß seine Tochter nichts that als über die Leute spotten, und alle Freier, die da versammelt waren, verschmähte, ward er zornig und schwur, sie sollte den ersten besten Bettler zum Manne nehmen, der vor seine Thüre käme.

Ein paar Tage darauf hub ein Spielmann an unter dem Fenster zu singen, um damit ein geringes Almosen zu verdienen. Als es der König hörte, sprach er „laßt ihn herauf kommen.“ Da trat der Spielmann in seinen schmutzigen verlumpten Kleidern herein, sang vor dem König und seiner Tochter, und bat, als er fertig war, um eine milde Gabe. Der König sprach „dein Gesang hat mir so wohl gefallen, daß ich dir meine Tochter da zur Frau geben will.“ Die Königstochter erschrack, aber der König sagte „ich habe den Eid gethan, dich dem ersten besten Bettelmann zu geben, den will ich auch halten.“ Es half keine Einrede, der Pfarrer ward geholt, und sie mußte sich gleich mit dem Spielmann trauen lassen. Als das geschehen war, sprach der König, „nun schickt sichs nicht, daß du als ein Bettelweib noch länger in meinem Schloß bleibst, du kannst nur mit deinem Manne fortziehen.“

Der Bettelmann führte sie an der Hand hinaus, und sie mußte mit ihm zu Fuß fort gehen. Als sie in einen großen Wald kamen, da fragte sie

„ach, wem gehört der schöne Wald?“
„Der gehört dem König Drosselbart;
hättst du’n genommen, so wär er dein.“
„Ich arme Jungfer zart,
ach, hätt ich genommen den König Drosselbart!“

Darauf kamen sie über eine Wiese, da fragte sie wieder

„wem gehört die schöne grüne Wiese?“
„Sie gehört dem König Drosselbart;
hättst du’n genommen, so wär sie dein.“
„Ich arme Jungfer zart,
ach, hätt ich genommen den König Drosselbart!“

Dann kamen sie durch eine große Stadt, da fragte sie wieder

„wem gehört diese schöne große Stadt?“
„Sie gehört dem König Drosselbart;
hättst du’n genommen, so wär sie dein.“
„Ich arme Jungfer zart,
ach, hätt ich genommen den König Drosselbart!“

„Es gefällt mir gar nicht,“ sprach der Spielmann, „daß du dir immer einen andern zum Mann wünschest: bin ich dir nicht gut genug?“ Endlich kamen sie an ein ganz kleines Häuschen, da sprach sie

„ach, Gott, was ist das Haus so klein!
wem mag das elende winzige Häuschen sein?“

Der Spielmann antwortete „das ist mein und dein Haus, wo wir zusammen wohnen.“ Sie mußte sich bücken, damit sie zu der niedrigen Thür hinein kam. „Wo sind die Diener?“ sprach die Königstochter. „Was Diener!“ antwortete der Bettelmann, „du mußt selber thun was du willst gethan haben. Mach nur gleich Feuer an und stell Wasser auf, daß du mir mein Essen kochst; ich bin ganz müde.“ Die Königstochter verstand aber nichts vom Feueranmachen und Kochen, und der Bettelmann mußte selber mit Hand anlegen, daß es noch so leidlich gieng. Als sie die schmale Kost verzehrt hatten, legten sie sich zu Bett: aber am Morgen trieb er sie schon ganz früh heraus, weil sie das Haus besorgen sollte. Ein paar Tage lebten sie auf diese Art schlecht und recht, und zehrten ihren Vorrath auf.

Da sprach der Mann „Frau, so gehts nicht länger, daß wir hier zehren und nichts verdienen. Du sollst Körbe flechten.“ Er gieng aus, schnitt Weiden, und brachte sie heim: da fieng sie an zu flechten, aber die harten Weiden stachen ihr die zarten Hände wund. „Ich sehe das geht nicht,“ sprach der Mann, „spinn lieber, vielleicht kannst du das besser.“ Sie setzte sich hin, und versuchte zu spinnen, aber der harte Faden schnitt ihr bald in die weichen Finger, daß das Blut daran herunter lief. „Siehst du,“ sprach der Mann, „du taugst zu keiner Arbeit, mit dir bin ich schlimm angekommen. Nun will ichs versuchen, und einen Handel mit Töpfen und irdenem Geschirr anfangen: du sollst dich auf den Markt setzen, und die Waare feil halten.“ „Ach,“ dachte sie, „wenn auf den Markt Leute aus meines Vaters Reich kommen, und sehen mich da sitzen und feil halten, wie werden sie mich verspotten!“ Aber es half nichts, sie mußte sich fügen, wenn sie nicht Hungers sterben wollten. Das erstemal gings gut, denn die Leute kauften der Frau, weil sie schön war, gern ihre Waare ab, und bezahlten was sie forderte: ja, viele gaben ihr das Geld, und ließen ihr die Töpfe noch dazu. Nun lebten sie von dem erworbenen so lang es dauerte, da handelte der Mann wieder eine Menge neues Geschirr ein. Sie setzte sich damit an eine Ecke des Marktes, und stellte es um sich her, und hielt feil. Da kam plötzlich ein trunkener Husar daher gejagt, und ritt gerade zu in die Töpfe hinein, daß alles in tausend Scherben zersprang. Sie fieng an zu weinen und wußte vor Angst nicht was sie anfangen sollte. „Ach, wie wird mirs ergehen!“ rief sie, „was wird mein Mann dazu sagen!“ Sie lief heim und erzählte ihm das Unglück. „Wer setzt sich auch an die Ecke des Marktes mit irdenem Geschirr!“ sprach der Mann, „laß nur das Weinen, ich sehe wohl du bist zu keiner ordentlichen Arbeit zu gebrauchen. Da bin ich in unseres Königs Schloß gewesen und habe gefragt ob sie nicht eine Küchenmagd brauchen könnten, und sie haben mir versprochen sie wollten dich dazu nehmen; dafür bekommst du freies Essen.“

Nun ward die Königstochter eine Küchenmagd, mußte dem Koch zur Hand gehen und die sauerste Arbeit thun. Sie machte sich in beiden Taschen ein Töpfchen fest, darin brachte sie nach Haus was ihr von dem übrig gebliebenen zu Theil ward, und davon nährten sie sich. Es trug sich zu, daß die Hochzeit des ältesten Königssohnes sollte gefeiert werden, da gieng die arme Frau hinauf, stellte sich vor die Saalthüre und wollte zusehen. Als nun die Lichter angezündet waren, und immer einer schöner als der andere hereintrat, und alles voll Pracht und Herrlichkeit war, da dachte sie mit betrübtem Herzen an ihr Schicksal, und verwünschte ihren Stolz und Übermuth, der sie erniedrigt und in so große Armuth gestürzt hatte. Von den köstlichen Speisen, die da ein und ausgetragen wurden, und von welchen der Geruch zu ihr aufstieg, warfen ihr Diener manchmal ein paar Brocken zu, die that sie in ihr Töpfchen, und wollte es heim tragen. Auf einmal trat der Königssohn herein, war in Sammt und Seide gekleidet und hatte goldene Ketten um den Hals. Und als er die schöne Frau in der Thüre stehen sah, ergriff er sie bei der Hand, und wollte mit ihr tanzen, aber sie weigerte sich und erschrack, denn sie sah daß es der König Drosselbart war, der um sie gefreit und den sie mit Spott abgewiesen hatte. Ihr Sträuben half nichts, er zog sie in den Saal: da zerriß das Band, an welchem die Taschen hiengen, und die Töpfe fielen heraus, daß die Suppe floß und die Brocken umher sprangen.

Und wie das die Leute sahen, entstand ein allgemeines Gelächter und Spotten, und sie war so beschämt, daß sie sich lieber tausend Klafter unter die Erde gewünscht hätte. Sie sprang zur Thüre hinaus und wollte entfliehen, aber auf der Treppe holte sie ein Mann ein, und brachte sie zurück: und wie sie ihn ansah, war es wieder der König Drosselbart. Er sprach ihr freundlich zu, „fürchte dich nicht, ich und der Spielmann, der mit dir in dem elenden Häuschen gewohnt hat, sind eins: dir zu Liebe habe ich mich so verstellt, und der Husar, der dir die Töpfe entzwei geritten hat, bin ich auch gewesen. Das alles ist geschehen, um deinen stolzen Sinn zu beugen, und dich für deinen Hochmuth zu strafen, womit du mich verspottet hast.“ Da weinte sie bitterlich und sagte „ich habe großes Unrecht gehabt und bin nicht werth deine Frau zu sein.“ Er aber sprach „tröste dich, die bösen Tage sind vorüber, jetzt wollen wir unsere Hochzeit feiern.“ Da kamen die Kammerfrauen und thaten ihr die prächtigsten Kleider an, und ihr Vater kam und der ganze Hof, und wünschten ihr Glück zu ihrer Vermählung mit dem König Drosselbart, und die rechte Freude fieng jetzt erst an. Ich wollte, du und ich, wir wären auch dabei gewesen.

Sonntag, 22. April 2012

Die goldene Gans

64. Märchen aus der Sammlung der Brüder Grimm


Es war ein Mann, der hatte drei Söhne, davon hieß der jüngste der Dummling, und wurde verachtet und verspottet, und bei jeder Gelegenheit zurückgesetzt. Es geschah, daß der älteste in den Wald gehen wollte, Holz hauen, und eh er gieng, gab ihm noch seine Mutter einen schönen feinen Eierkuchen und eine Flasche Wein mit, damit er nicht Hunger und Durst litte. Als er in den Wald kam, begegnete ihm ein altes graues Männlein, das bot ihm einen guten Tag und sprach „gieb mir doch ein Stück Kuchen aus deiner Tasche, und laß mich einen Schluck von deinem Wein trinken, ich bin so hungrig und durstig.“ Der kluge Sohn aber antwortete „geb ich dir meinen Kuchen und meinen Wein, so hab ich selber nichts, pack dich deiner Wege,“ ließ das Männlein stehen und gieng fort. Als er nun anfieng einen Baum zu behauen, dauerte es nicht lange, so hieb er fehl, und die Axt fuhr ihm in den Arm, daß er mußte heimgehen und sich verbinden lassen. Das war aber von dem grauen Männchen gekommen.

Darauf gieng der zweite Sohn in den Wald, und die Mutter gab ihm, wie dem ältesten, einen Eierkuchen und eine Flasche Wein. Dem begegnete gleichfalls das alte graue Männchen und hielt um ein Stückchen Kuchen und einen Trunk Wein an. Aber der zweite Sohn sprach auch ganz verständig „was ich dir gebe, das geht mir selber ab, pack dich deiner Wege,“ ließ das Männlein stehen und gieng fort. Die Strafe blieb nicht aus, als er ein paar Hiebe am Baum gethan, hieb er sich ins Bein, daß er mußte nach Haus getragen werden.

Da sagte der Dummling „Vater, laß mich einmal hinaus gehen und Holz hauen.“ Antwortete der Vater „deine Brüder haben sich Schaden dabei gethan, laß dich davon, du verstehst nichts davon.“ Der Dummling aber bat so lange, bis er endlich sagte „geh nur hin, durch Schaden wirst du klug werden.“ Die Mutter gab ihm einen Kuchen, der war mit Wasser in der Asche gebacken, und dazu eine Flasche saueres Bier. Als er in den Wald kam, begegnete ihm gleichfalls das alte graue Männchen, grüßte ihn und sprach „gieb mir ein Stück von deinem Kuchen und einen Trunk aus deiner Flasche, ich bin so hungrig und durstig.“ Antwortete der Dummling „ich habe aber nur Aschenkuchen und saueres Bier, wenn dir das recht ist, so wollen wir uns setzen und essen.“ Da setzten sie sich, und als der Dummling seinen Aschenkuchen herausholte, so wars ein feiner Eierkuchen, und das sauere Bier war ein guter Wein. Nun aßen und tranken sie, und danach sprach das Männlein „weil du ein gutes Herz hast und von dem Deinigen gerne mittheilst, so will ich dir Glück bescheren. Dort steht ein alter Baum, den hau ab, so wirst du in den Wurzeln etwas finden.“ Darauf nahm das Männlein Abschied.

Der Dummling gieng hin und hieb den Baum um, und wie er fiel, saß in den Wurzeln eine Gans, die hatte Federn von reinem Gold. Er hob sie heraus, nahm sie mit sich und gieng in ein Wirthshaus, da wollte er übernachten. Der Wirth hatte aber drei Töchter, die sahen die Gans, waren neugierig was das für ein wunderlicher Vogel wäre und hätten gar gern eine von seinen goldenen Federn gehabt. Die älteste dachte „es wird sich schon eine Gelegenheit finden wo ich mir eine Feder ausziehen kann,“ und als der Dummling einmal hinaus gegangen war, faßte sie die Gans beim Flügel, aber Finger und Hand blieben ihr daran festhängen. Bald danach kam die zweite und hatte keinen andern Gedanken als sich eine goldene Feder zu holen: kaum aber hatte sie ihre Schwester angerührt, so blieb sie festhängen. Endlich kam auch die dritte in gleicher Absicht: da schrieen die andern „bleib weg, ums Himmelswillen, bleib weg.“ Aber sie begriff nicht warum sie wegbleiben sollte, dachte „sind die dabei, so kann ich auch dabei sein,“ und sprang herzu, und wie sie ihre Schwester angerührt hatte, so blieb sie an ihr hängen. So mußten sie die Nacht bei der Gans zubringen.

Am andern Morgen nahm der Dummling die Gans in den Arm, gieng fort, und bekümmerte sich nicht um die drei Mädchen, die daran hiengen. Sie mußten immer hinter ihm drein laufen, links und rechts, wies ihm in die Beine kam. Mitten auf dem Felde begegnete ihnen der Pfarrer, und als er den Aufzug sah, sprach er „schämt euch, ihr garstigen Mädchen, was lauft ihr dem jungen Bursch durchs Feld nach, schickt sich das?“ Damit faßte er die jüngste an die Hand und wollte sie zurückziehen: wie er sie aber anrührte, blieb er gleichfalls hängen und mußte selber hinter drein laufen. Nicht lange, so kam der Küster daher, und sah den Herrn Pfarrer, der drei Mädchen auf dem Fuß folgte. Da verwunderte er sich und rief „ei, Herr Pfarrer, wo hinaus so geschwind? vergeßt nicht daß wir heute noch eine Kindtaufe haben,“ lief auf ihn zu und faßte ihn am Ermel, blieb aber auch fest hängen. Wie die fünf so hinter einander her trabten, kamen zwei Bauern mit ihren Hacken vom Feld: da rief der Pfarrer sie an und bat sie möchten ihn und den Küster los machen. Kaum aber hatten sie den Küster angerührt, so blieben sie hängen, und waren ihrer nun siebene, die dem Dummling mit der Gans nachliefen.

Er kam darauf in eine Stadt, da herrschte ein König, der hatte eine Tochter, die war so ernsthaft, daß sie niemand zum lachen bringen konnte. Darum hatte er ein Gesetz gegeben, wer sie könnte zum lachen bringen, der sollte sie heirathen. Der Dummling, als er das hörte, gieng mit seiner Gans und ihrem Anhang vor die Königstochter, und als diese die sieben Menschen immer hinter einander herlaufen sah, fieng sie überlaut an zu lachen und wollte gar nicht wieder aufhören. Da verlangte sie der Dummling zur Braut, aber dem König gefiel der Schwiegersohn nicht, er machte allerlei Einwendungen und sagte er müßte ihm erst einen Mann bringen, der einen Keller voll Wein austrinken könnte. Der Dummling dachte an das graue Männchen, das könnte ihm wohl helfen, gieng hinaus in den Wald, und auf der Stelle, wo er den Baum abgehauen hatte, sah er einen Mann sitzen, der machte ein ganz betrübtes Gesicht. Der Dummling fragte was er sich so sehr zu Herzen nähme. Da antwortete er „ich habe so großen Durst, und kann ihn nicht löschen, das kalte Wasser vertrage ich nicht, ein Faß Wein habe ich zwar ausgeleert, aber was ist ein Tropfen auf einem heißen Stein?“ „Da kann ich dir helfen,“ sagte der Dummling, „komm nur mit mir, du sollst satt haben.“ Er führte ihn darauf in des Königs Keller, und der Mann machte sich über die großen Fässer, trank und trank, daß ihm die Hüften weh thaten, und ehe ein Tag herum war, hatte er den ganzen Keller ausgetrunken. Der Dummling verlangte abermals seine Braut, der König aber ärgerte sich daß ein schlechter Bursch, den jedermann einen Dummling nannte, seine Tochter davon tragen sollte, und machte neue Bedingungen: er müßte erst einen Mann schaffen, der einen Berg voll Brot aufessen könnte. Der Dummling besann sich nicht lange, sondern gieng gleich hinaus in den Wald: da saß auf demselben Platz ein Mann, der schnürte sich den Leib mit einem Riemen zusammen, machte ein grämliches Gesicht, und sagte „ich habe einen ganzen Backofen voll Raspelbrot gegessen, aber was hilft das, wenn man so großen Hunger hat, wie ich: mein Magen bleibt leer, und ich muß mich nur zuschnüren, wenn ich nicht Hungers sterben soll.“ Der Dummling war froh darüber, und sprach „mach dich auf und geh mit mir, du sollst dich satt essen.“ Er führte ihn an den Hof des Königs, der hatte alles Mehl aus dem ganzen Reich zusammenfahren und einen ungeheuern Berg davon backen lassen: der Mann aber aus dem Walde stellte sich davor, fieng an zu essen, und in einem Tag war der ganze Berg verschwunden. Der Dummling forderte zum drittenmal seine Braut, der König aber suchte noch einmal Ausflucht, und verlangte ein Schiff das zu Land und zu Wasser fahren könnte: „so wie du aber damit angesegelt kommst,“ sagte er, „so sollst du gleich meine Tochter zur Gemahlin haben.“ Der Dummling gieng gerades Weges in den Wald, da saß das alte graue Männchen, dem er seinen Kuchen gegeben hatte, und sagte „ich habe für dich getrunken und gegessen, ich will dir auch das Schiff geben; das alles thu ich, weil du barmherzig gegen mich gewesen bist.“ Da gab er ihm das Schiff, das zu Land und zu Wasser fuhr, und als der König das sah, konnte er ihm seine Tochter nicht länger vorenthalten. Die Hochzeit ward gefeiert, nach des Königs Tod erbte der Dummling das Reich, und lebte lange Zeit vergnügt mit seiner Gemahlin.

Up Reisen gohn

143. Märchen aus der Sammlung der Brüder Grimm


Et was emol ne arme Frau, de hadde enen Suhn, de wull so gerne reisen, do seg de Mohr „wu kannst du reisen? wi hebt je gar kien Geld, dat du mitniemen kannst.“ Do seg de Suhn „ick will mi gut behelpen, ick will alltied seggen „nig viel, nig viel, nig viel.“

Do genk he ene gude Tied un sede alltied „nig viel, nig viel, nig viel.“ Kam do bi en Trop Fisker un seg „Gott helpe ju! nig viel, nig viel, nig viel.“ „Wat segst du, Kerl, nig viel?“ Un asse dat Gören (Garn) uttrocken, kregen se auck nig viel Fiske. So met enen Stock up de Jungen, un „hest du mi nig dresken (dreschen) seihn?“ „Wat sall ick denn seggen?“ seg de Junge. „Du sallst seggen „fank vull, fank vull.“

Do geit he wier ene ganze Tied un seg „fank vull, fank vull,“ bis he kümmt an enen Galgen, do hebt se en armen Sünder, den willt se richten. Do seg he „guden Morgen, fank vull, fank vull.“ „Wat segst du, Kerl, fank vull? söllt der noch mehr leige (leidige, böse) Lude in de Welt sien? is düt noch nig genog?“ He krig wier wat up den Puckel. „Wat sall ik denn seggen?“ „Du sallst seggen „Gott tröst de arme Seele.“

De Junge geit wier ene ganze Tied un seg „Gott tröst de arme Seele!“ Do kümmet he an en Grawen, do steit en Filler (Schinder), de tüt en Perd af. De Junge seg „guden Morgen, Gott tröst de arme Seele!“ „Wat segst du, leige Kerl?“ un schleit en met sinen Filhacken üm de Ohren, dat he ut den Augen nig seihen kann. „Wu sall ick denn seggen?“ „Du sallst seggen „do ligge du Aas in en Grawen.“

Do geit he un seg alltied „do ligge du Aas in en Grawen! do ligge du Aas in en Grawen!“ Nu kümmt he bi enen Wagen vull Lüde, do seg he „guden Morgen, do ligge du Aas in en Grawen!“ Do föllt de Wagen üm in en Grawen, de Knecht kreg de Pietske un knapt den Jungen, dat he wier to sine Mohr krupen moste. Un he is sien Lewen nig wier up reisen gohn.




Der Trommler

193. Märchen aus der Sammlung der Brüder Grimm


Eines Abends gieng ein junger Trommler ganz allein auf dem Feld und kam an einen See, da sah er an dem Ufer drei Stückchen weiße Leinewand liegen. „Was für feines Leinen“ sprach er, und steckte eins davon in die Tasche. Er gieng heim, dachte nicht weiter an seinen Fund und legte sich zu Bett. Als er eben einschlafen wollte, war es ihm als nennte jemand seinen Namen. Er horchte und vernahm eine leise Stimme, die ihm zurief „Trommeler, Trommeler, wach auf.“ Er konnte, da es finstere Nacht war, niemand sehen, aber es kam ihm vor als schwebte eine Gestalt vor seinem Bett auf und ab. „Was willst du?“ fragte er. „Gib mir mein Hemdchen zurück,“ antwortete die Stimme, „das du mir gestern Abend am See weggenommen hast.“ „Du sollst es wieder haben,“ sprach der Trommler, „wenn du mir sagst wer du bist.“ „Ach,“ erwiederte die Stimme, „ich bin die Tochter eines mächtigen Königs, aber ich bin in die Gewalt einer Hexe gerathen, und bin auf den Glasberg gebannt. Jeden Tag muß ich mich mit meinen zwei Schwestern im See baden, aber ohne mein Hemdchen kann ich nicht wieder fort fliegen. Meine Schwestern haben sich fort gemacht, ich aber habe zurück bleiben müssen. Ich bitte dich gib mir mein Hemdchen wieder.“ „Sei ruhig, armes Kind,“ sprach der Trommler, „ich will dirs gerne zurückgeben.“ Er holte es aus seiner Tasche, und reichte es ihr in der Dunkelheit hin. Sie erfaßte es hastig, und wollte damit fort. „Weile einen Augenblick,“ sagte er „vielleicht kann ich dir helfen.“ „Helfen kannst du mir nur, wenn du auf den Glasberg steigst und mich aus der Gewalt der Hexe befreist. Aber zu dem Glasberg kommst du nicht, und wenn du auch ganz nahe daran wärst, so kannst du nicht hinauf.“ „Was ich will, das kann ich,“ sagte der Trommler, „ich habe Mitleid mit dir und ich fürchte mich vor nichts. Aber ich weiß den Weg nicht, der nach dem Glasberge führt.“ „Der Weg geht durch den großen Wald, in dem die Menschenfresser hausen,“ antwortete sie, „mehr darf ich dir nicht sagen.“ Darauf hörte er wie sie fortschwirrte.

Bei Anbruch des Tags machte sich der Trommler auf, hieng seine Trommel um und gieng ohne Furcht geradezu in den Wald hinein. Als er ein Weilchen gegangen war und keinen Riesen erblickte, so dachte er „ich muß die Langeschläfer aufwecken,“ hieng die Trommel vor und schlug einen Wirbel, daß die Vögel aus den Bäumen mit Geschrei aufflogen. Nicht lange so erhob sich auch ein Riese in die Höhe, der im Gras gelegen und geschlafen hatte, und war so groß wie eine Tanne. „Du Wicht,“ rief er ihm zu, „was trommelst du hier und weckst mich aus dem besten Schlaf?“ „Ich trommle,“ antwortete er, „weil viele tausende hinter mir herkommen, damit sie den Weg wissen.“ „Was wollen die hier in meinem Wald?“ fragte der Riese. „Sie wollen dir den Garaus machen und den Wald von einem Ungethüm, wie du bist, säubern.“ „Oho,“ sagte der Riese, „ich trete euch wie Ameisen todt.“ „Meinst du, du könntest gegen sie etwas ausrichten?“ sprach der Trommler, „wenn du dich bückst, um einen zu packen, so springt er fort und versteckt sich: wie du dich aber niederlegst und schläfst, so kommen sie aus allen Gebüschen herbei, und kriechen an dir hinauf. Jeder hat einen Hammer von Stahl am Gürtel stecken, damit schlagen sie dir den Schädel ein.“ Der Riese ward verdrießlich und dachte „wenn ich mich mit dem listigen Volk befasse, so könnte es doch zu meinem Schaden ausschlagen. Wölfen und Bären drücke ich die Gurgel zusammen, aber vor den Erdwürmen kann ich mich nicht schützen.“ „Hör, kleiner Kerl,“ sprach er, „zieh wieder ab, ich verspreche dir, daß ich dich und deine Gesellen in Zukunft in Ruhe lassen will, und hast du noch einen Wunsch, so sags mir, ich will dir wohl etwas zu Gefallen thun.“ „Du hast lange Beine,“ sprach der Trommler, „und kannst schneller laufen als ich, trag mich zum Glasberge, so will ich den Meinigen ein Zeichen zum Rückzug geben, und sie sollen dich diesmal in Ruhe lassen.“ „Komm her, Wurm,“ sprach der Riese, „setz dich auf meine Schulter, ich will dich tragen wohin du verlangst.“ Der Riese hob ihn hinauf, und der Trommler fieng oben an nach Herzenslust auf der Trommel zu wirbeln. Der Riese dachte „das wird das Zeichen sein, daß das andere Volk zurückgehen soll.“ Nach einer Weile stand ein zweiter Riese am Weg, der nahm den Trommler dem ersten ab und steckte ihn in sein Knopfloch. Der Trommler faßte den Knopf, der wie eine Schüssel groß war, hielt sich daran und schaute ganz lustig umher. Dann kamen sie zu einem dritten, der nahm ihn aus dem Knopfloch und setzte ihn auf den Rand seines Hutes; da gieng der Trommler oben auf und ab und sah über die Bäume hinaus, und als er in blauer Ferne einen Berg erblickte, so dachte er „das ist gewis der Glasberg,“ und er war es auch. Der Riese that nur noch ein paar Schritte, so waren sie an dem Fuß des Bergs angelangt, wo ihn der Riese absetzte. Der Trommler verlangte er sollte ihn auch auf die Spitze des Glasberges tragen, aber der Riese schüttelte mit dem Kopf, brummte etwas in den Bart und gieng in den Wald zurück.

Nun stand der arme Trommler vor dem Berg, der so hoch war, als wenn drei Berge aufeinander gesetzt wären, und dabei so glatt wie ein Spiegel, und wußte keinen Rath um hinauf zu kommen. Er fieng an zu klettern, aber vergeblich, er rutschte immer wieder herab. „Wer jetzt ein Vogel wäre“ dachte er, aber was half das Wünschen, es wuchsen ihm keine Flügel. Indem er so stand, und sich nicht zu helfen wußte, erblickte er nicht weit von sich zwei Männer, die heftig miteinander stritten. Er gieng auf sie zu und sah daß sie wegen eines Sattels uneins waren, der vor ihnen auf der Erde lag und den jeder von ihnen haben wollte. „Was seid ihr für Narren,“ sprach er, „zankt euch um einen Sattel und habt kein Pferd dazu.“ „Der Sattel ist werth daß man darum streitet,“ antwortete der eine von den Männern, „wer darauf sitzt und wünscht sich irgend wohin, und wärs am Ende der Welt, der ist im Augenblick angelangt, wie er den Wunsch ausgesprochen hat. Der Sattel gehört uns gemeinschaftlich, die Reihe darauf zu reiten ist an mir, aber der andere will es nicht zulassen.“ „Den Streit will ich bald austragen,“ sagte der Trommler, gieng eine Strecke weit und steckte einen weißen Stab in die Erde. Dann kam er zurück und sprach „jetzt lauft nach dem Ziel, wer zuerst dort ist, der reitet zuerst.“ Beide setzten sich in Trab, aber kaum waren sie ein paar Schritte weg, so schwang sich der Trommler auf den Sattel, wünschte sich auf den Glasberg, und ehe man die Hand umdrehte, war er dort. Auf dem Berg oben war eine Ebne, da stand ein altes steinernes Haus, und vor dem Haus lag ein großer Fischteich, dahinter aber ein finsterer Wald. Menschen und Thiere sah er nicht, es war alles still, nur der Wind raschelte in den Bäumen, und die Wolken zogen ganz nah über seinem Haupt weg. Er trat an die Thüre und klopfte an. Als er zum drittenmal geklopft hatte, öffnete eine Alte mit braunem Gesicht und rothen Augen die Thüre; sie hatte eine Brille auf ihrer langen Nase und sah ihn scharf an, dann fragte sie was sein Begehren wäre. „Einlaß, Kost und Nachtlager“ antwortete der Trommler. „Das sollst du haben,“ sagte die Alte, „wenn du dafür drei Arbeiten verrichten willst.“ „Warum nicht?“ antwortete er, „ich scheue keine Arbeit, und wenn sie noch so schwer ist.“ Die Alte ließ ihn ein, gab ihm Essen und Abends ein gutes Bett. Am Morgen als er ausgeschlafen hatte, nahm die Alte einen Fingerhut von ihrem dürren Finger, reichte ihn dem Trommler hin, und sagte „jetzt geh an die Arbeit und schöpfe den Teich draußen mit diesem Fingerhut aus: aber ehe es Nacht wird mußt du fertig sein, und alle Fische, die in dem Wasser sind, müssen nach ihrer Art und Größe ausgesucht und nebeneinander gelegt sein.“ „Das ist eine seltsame Arbeit,“ sagte der Trommler, gieng aber zu dem Teich und fieng an zu schöpfen. Er schöpfte den ganzen Morgen, aber was kann man mit einem Fingerhut bei einem großen Wasser ausrichten, und wenn man tausend Jahre schöpft? Als es Mittag war, dachte er „es ist alles umsonst, und ist einerlei ob ich arbeite oder nicht,“ hielt ein, und setzte sich nieder. Da kam ein Mädchen aus dem Haus gegangen, stellte ihm ein Körbchen mit Essen hin, und sprach „du sitzest da so traurig, was fehlt dir?“ Er blickte es an und sah daß es wunderschön war. „Ach,“ sagte er, „ich kann die erste Arbeit nicht vollbringen, wie wird es mit den andern werden? Ich bin ausgegangen eine Königstochter zu suchen, die hier wohnen soll, aber ich habe sie nicht gefunden; ich will weiter gehen.“ „Bleib hier,“ sagte das Mädchen, „ich will dir aus deiner Noth helfen. Du bist müde, lege deinen Kopf in meinen Schoos und schlaf. Wenn du wieder aufwachst, so ist die Arbeit gethan.“ Der Trommler ließ sich das nicht zweimal sagen. Sobald ihm die Augen zufielen, drehte sie einen Wunschring und sprach „Wasser herauf, Fische heraus.“ Alsbald stieg das Wasser wie ein weißer Nebel in die Höhe und zog mit den andern Wolken fort, und die Fische schnalzten, sprangen ans Ufer, und legten sich nebeneinander, jeder nach seiner Größe und Art. Als der Trommler erwachte, sah er mit Erstaunen daß alles vollbracht war. Aber das Mädchen sprach „einer von den Fischen liegt nicht bei seinesgleichen, sondern ganz allein. Wenn die Alte heute Abend kommt, und sieht daß alles geschehen ist, was sie verlangt hat, so wird sie fragen „was soll dieser Fisch allein?“ Dann wirf ihr den Fisch ins Angesicht und sprich „der soll für dich sein, alte Hexe.“ Abends kam die Alte, und als sie die Frage gethan hatte, so warf er ihr den Fisch ins Gesicht. Sie stellte sich als merkte sie es nicht und schwieg still, aber sie blickte ihn mit boshaften Augen an. Am andern Morgen sprach sie „gestern hast du es zu leicht gehabt, ich muß dir schwerere Arbeit geben. Heute mußt du den ganzen Wald umhauen, das Holz in Scheite spalten und in Klaftern legen, und am Abend muß alles fertig sein.“ Sie gab ihm eine Axt, einen Schläger und zwei Keile. Aber die Axt war von Blei, der Schläger und die Keile waren von Blech. Als er anfieng zu hauen, so legte sich die Axt um, und Schläger und Keile drückten sich zusammen. Er wußte sich nicht zu helfen, aber Mittags kam das Mädchen wieder mit dem Essen und tröstete ihn. „Lege deinen Kopf in meinen Schoos,“ sagte sie, „und schlaf, wenn du aufwachst, so ist die Arbeit gethan.“ Sie drehte ihren Wunschring, in dem Augenblick sank der ganze Wald mit Krachen zusammen, das Holz spaltete sich von selbst, und legte sich in Klaftern zusammen; es war als ob unsichtbare Riesen die Arbeit vollbrächten. Als er aufwachte, sagte das Mädchen „siehst du das Holz ist geklaftert und gelegt: nur ein einziger Ast ist übrig, aber wenn die Alte heute Abend kommt und fragt was der Ast solle, so gib ihr damit einen Schlag und sprich „der soll für dich sein, du Hexe.“ Die Alte kam, „siehst du,“ sprach sie, „wie leicht die Arbeit war: aber für wen liegt der Ast noch da?“ „Für dich, du Hexe“ antwortete er und gab ihr einen Schlag damit. Aber sie that als fühlte sie es nicht, lachte höhnisch und sprach „Morgen früh sollst du alles Holz auf einen Haufen legen, es anzünden und verbrennen.“ Er stand mit Anbruch des Tages auf und fieng an das Holz herbei zu holen, aber wie kann ein einziger Mensch einen ganzen Wald zusammen tragen? die Arbeit rückte nicht fort. Doch das Mädchen verließ ihn nicht in der Noth: es brachte ihm Mittags seine Speise, und als er gegessen hatte, legte er seinen Kopf in den Schoos und schlief ein. Bei seinem Erwachen brannte der ganze Holzstoß in einer ungeheuern Flamme, die ihre Zungen bis in den Himmel ausstreckte. „Hör mich an,“ sprach das Mädchen, „wenn die Hexe kommt, wird sie dir allerlei auftragen: thust du ohne Furcht was sie verlangt, so kann sie dir nichts anhaben: fürchtest du dich aber, so packt dich das Feuer und verzehrt dich. Zuletzt, wenn du alles gethan hast, so packe sie mit beiden Händen, und wirf sie mitten in die Glut.“ Das Mädchen gieng fort, und die Alte kam herangeschlichen, „hu! mich friert,“ sagte sie, „aber das ist ein Feuer, das brennt, das wärmt mir die alten Knochen, da wird mir wohl. Aber dort liegt ein Klotz, der will nicht brennen, den hol mir heraus. Hast du das noch gethan, so bist du frei, und kannst ziehen wohin du willst. Nur munter hinein.“ Der Trommler besann sich nicht lange, sprang mitten in die Flammen, aber sie thaten ihm nichts, nicht einmal die Haare konnten sie ihm versengen. Er trug den Klotz heraus und legte ihn hin. Kaum aber hatte das Holz die Erde berührt, so verwandelte es sich, und das schöne Mädchen stand vor ihm, das ihm in der Noth geholfen hatte: und an den seidenen goldglänzenden Kleidern, die es anhatte, merkte er wohl daß es die Königstochter war. Aber die Alte lachte giftig und sprach „du meinst du hättest sie, aber du hast sie noch nicht.“ Eben wollte sie auf das Mädchen losgehen, und es fortziehen, da packte er die Alte mit beiden Händen, hob sie in die Höhe, und warf sie den Flammen in den Rachen, die über ihr zusammenschlugen, als freuten sie sich daß sie eine Hexe verzehren sollten.

Die Königstochter blickte darauf den Trommler an, und als sie sah daß es ein schöner Jüngling war und bedachte daß er sein Leben daran gesetzt hatte, um sie zu erlösen, so reichte sie ihm die Hand und sprach „du hast alles für mich gewagt, aber ich will auch für dich alles thun. Versprichst du mir deine Treue, so sollst du mein Gemahl werden. An Reichthümern fehlt es uns nicht, wir haben genug an dem, was die Hexe hier zusammen getragen hat.“ Sie führte ihn in das Haus, da standen Kisten und Kasten, die mit ihren Schätzen angefüllt waren. Sie ließen Gold und Silber liegen und nahmen nur die Edelsteine. Sie wollte nicht länger auf dem Glasberg bleiben, da sprach er zu ihr „setze dich zu mir auf meinen Sattel, so fliegen wir hinab wie Vögel.“ „Der alte Sattel gefällt mir nicht,“ sagte sie, „ich brauche nur an meinem Wunschring zu drehen, so sind wir zu Haus.“ „Wohlan,“ antwortete der Trommler, „so wünsch uns vor das Stadtthor.“ Im Nu waren sie dort, der Trommler aber sprach „ich will erst zu meinen Eltern gehen und ihnen Nachricht geben, harre mein hier auf dem Feld, ich will bald zurück sein.“ „Ach,“ sagte die Königstochter, „ich bitte dich, nimm dich in Acht, küsse deine Eltern bei deiner Ankunft nicht auf die rechte Wange, denn sonst wirst du alles vergessen, und ich bleibe hier allein und verlassen auf dem Feld zurück.“ „Wie kann ich dich vergessen?“ sagte er und versprach ihr in die Hand recht bald wieder zu kommen. Als er in sein väterliches Haus trat, wußte niemand wer er war, so hatte er sich verändert, denn die drei Tage, die er auf dem Glasberg zugebracht hatte, waren drei lange Jahre gewesen. Da gab er sich zu erkennen, und seine Eltern fielen ihm vor Freude um den Hals, und er war so bewegt in seinem Herzen, daß er sie auf beide Wangen küßte und an die Worte des Mädchens nicht dachte. Wie er ihnen aber den Kuß auf die rechte Wange gegeben hatte, verschwand ihm jeder Gedanke an die Königstochter. Er leerte seine Taschen aus und legte Händevoll der größten Edelsteine auf den Tisch. Die Eltern wußten gar nicht was sie mit dem Reichthum anfangen sollten. Da baute der Vater ein prächtiges Schloß, von Gärten, Wäldern und Wiesen umgeben, als wenn ein Fürst darin wohnen sollte. Und als es fertig war, sagte die Mutter „ich habe ein Mädchen für dich ausgesucht, in drei Tagen soll die Hochzeit sein.“ Der Sohn war mit allem zufrieden, was die Eltern wollten.

Die arme Königstochter hatte lange vor der Stadt gestanden und auf die Rückkehr des Jünglings gewartet. Als es Abend ward, sprach sie „gewis hat er seine Eltern auf die rechte Wange geküßt, und hat mich vergessen.“ Ihr Herz war voll Trauer, sie wünschte sich in ein einsames Waldhäuschen und wollte nicht wieder an den Hof ihres Vaters zurück. Jeden Abend gieng sie in die Stadt, und gieng an seinem Haus vorüber: er sah sie manchmal, aber er kannte sie nicht mehr. Endlich hörte sie wie die Leute sagten „morgen wird seine Hochzeit gefeiert.“ Da sprach sie „ich will versuchen ob ich sein Herz wieder gewinne.“ Als der erste Hochzeitstag gefeiert ward, da drehte sie ihren Wunschring und sprach „ein Kleid so glänzend wie die Sonne.“ Alsbald lag das Kleid vor ihr und war so glänzend, als wenn es aus lauter Sonnenstrahlen gewebt wäre. Als alle Gäste sich versammelt hatten, so trat sie in den Saal. Jedermann wunderte sich über das schöne Kleid, am meisten die Braut, und da schöne Kleider ihre größte Lust waren, so gieng sie zu der Fremden und fragte ob sie es ihr verkaufen wollte. „Für Geld nicht,“ antwortete sie, „aber wenn ich die erste Nacht vor der Thüre verweilen darf, wo der Bräutigam schläft, so will ich es hingeben.“ Die Braut konnte ihr Verlangen nicht bezwingen und willigte ein, aber sie mischte dem Bräutigam einen Schlaftrunk in seinen Nachtwein, wovon er in tiefen Schlaf verfiel. Als nun alles still geworden war, so kauerte sich die Königstochter vor die Thüre der Schlafkammer, öffnete sie ein wenig und rief hinein

„Trommler, Trommler, hör mich an,
hast du mich denn ganz vergessen?
hast du auf dem Glasberg nicht bei mir gesessen?
habe ich vor der Hexe nicht bewahrt dein Leben?
hast du mir auf Treue nicht die Hand gegeben?
Trommler, Trommler, hör mich an.“

Aber es war alles vergeblich, der Trommler wachte nicht auf, und als der Morgen anbrach, mußte die Königstochter unverrichteter Dinge wieder fortgehen. Am zweiten Abend drehte sie ihren Wunschring und sprach „ein Kleid so silbern als der Mond.“ Als sie mit dem Kleid, das so zart war, wie der Mondschein, bei dem Fest erschien, erregte sie wieder das Verlangen der Braut und gab es ihr für die Erlaubnis auch die zweite Nacht vor der Thüre der Schlafkammer zubringen zu dürfen. Da rief sie in nächtlicher Stille

„Trommler, Trommler, hör mich an,
hast du mich denn ganz vergessen?
hast du auf dem Glasberg nicht bei mir gesessen?
habe ich vor der Hexe nicht bewahrt dein Leben?
hast du mir auf Treue nicht die Hand gegeben?
Trommler, Trommler, hör mich an.“

Aber der Trommler, von dem Schlaftrunk betäubt, war nicht zu erwecken. Traurig gieng sie den Morgen wieder zurück in ihr Waldhaus. Aber die Leute im Haus hatten die Klage des fremden Mädchens gehört und erzählten dem Bräutigam davon: sie sagten ihm auch daß es ihm nicht möglich gewesen wäre etwas davon zu vernehmen, weil sie ihm einen Schlaftrunk in den Wein geschüttet hätten. Am dritten Abend drehte die Königstochter den Wunschring und sprach „ein Kleid flimmernd wie Sterne.“ Als sie sich darin auf dem Fest zeigte, war die Braut über die Pracht des Kleides, das die andern weit übertraf, ganz außer sich und sprach „ich soll und muß es haben.“ Das Mädchen gab es, wie die andern, für die Erlaubnis die Nacht vor der Thüre des Bräutigams zuzubringen. Der Bräutigam aber trank den Wein nicht, der ihm vor dem Schlafengehen gereicht wurde, sondern goß ihn hinter das Bett. Und als alles im Haus still geworden war, so hörte er eine sanfte Stimme, die ihn anrief

„Trommler, Trommler, hör mich an,
hast du mich denn ganz vergessen?
hast du auf dem Glasberg nicht bei mir gesessen?
habe ich vor der Hexe nicht bewahrt dein Leben?
hast du mir auf Treue nicht die Hand gegeben?
Trommler, Trommler, hör mich an.“

Plötzlich kam ihm das Gedächtnis wieder. „Ach,“ rief er, „wie habe ich so treulos handeln können, aber der Kuß, den ich meinen Eltern in der Freude meines Herzens auf die rechte Wange gegeben habe, der ist Schuld daran, der hat mich betäubt.“ Er sprang auf, nahm die Königstochter bei der Hand und führte sie zu dem Bett seiner Eltern. „Das ist meine rechte Braut,“ sprach er, „wenn ich die andere heirathe, so thue ich großes Unrecht.“ Die Eltern, als sie hörten wie alles sich zugetragen hatte, willigten ein. Da wurden die Lichter im Saal wieder angezündet, Pauken und Trompeten herbei geholt, die Freunde und Verwandten eingeladen wieder zu kommen, und die wahre Hochzeit ward mit großer Freude gefeiert. Die erste Braut behielt die schönen Kleider zur Entschädigung und gab sich zufrieden.

Samstag, 21. April 2012

Die Kornähre

194. Märchen aus der Sammlung der Brüder Grimm


Vorzeiten, als Gott noch selbst auf Erden wandelte, da war die Fruchtbarkeit des Bodens viel größer als sie jetzt ist: damals trugen die Ähren nicht funfzig- oder sechzigfältig, sondern vier- bis fünfhundertfältig. Da wuchsen die Körner am Halm von unten bis oben hinauf: so lang er war, so lang war auch die Ähre. Aber wie die Menschen sind, im Überfluß achten sie des Segens nicht mehr, der von Gott kommt, werden gleichgültig und leichtsinnig. Eines Tages gieng eine Frau an einem Kornfeld vorbei, und ihr kleines Kind, das neben ihr sprang, fiel in eine Pfütze und beschmutzte sein Kleidchen. Da riß die Mutter eine Hand voll der schönen Ähren ab und reinigte ihm damit das Kleid. Als der Herr, der eben vorüberkam, das sah, zürnte er und sprach „fortan soll der Kornhalm keine Ähre mehr tragen: die Menschen sind der himmlischen Gabe nicht länger werth.“ Die Umstehenden, die das hörten, erschraken, fielen auf die Knie und flehten, daß er noch etwas möchte an dem Halm stehen lassen: wenn sie selbst es auch nicht verdienten, doch der unschuldigen Hühner wegen, die sonst verhungern müßten. Der Herr, der ihr Elend voraus sah, erbarmte sich und gewährte die Bitte. Also blieb noch oben die Ähre übrig, wie sie jetzt wächst.




Freitag, 20. April 2012

Die Goldkinder

85. Märchen aus der Sammlung der Brüder Grimm


Es war ein armer Mann und eine arme Frau, die hatten nichts als eine kleine Hütte, und nährten sich vom Fischfang, und es gieng bei ihnen von Hand zu Mund. Es geschah aber, als der Mann eines Tages beim Wasser saß und sein Netz auswarf, daß er einen Fisch herauszog, der ganz golden war. Und als er den Fisch voll Verwunderung betrachtete, hub dieser an zu reden und sprach „hör, Fischer, wirfst du mich wieder hinab ins Wasser, so mach ich deine kleine Hütte zu einem prächtigen Schloß.“ Da antwortete der Fischer „was hilft mir ein Schloß, wenn ich nichts zu essen habe?“ Sprach der Goldfisch weiter „auch dafür soll gesorgt sein, es wird ein Schrank im Schloß sein, wenn du den aufschließest, so stehen Schüsseln darin mit den schönsten Speisen, so viel du dir wünschest.“ „Wenn das ist,“ sprach der Mann, „so kann ich dir wohl den Gefallen thun.“ „Ja,“ sagte der Fisch, „es ist aber die Bedingung dabei, daß du keinem Menschen auf der Welt, wer es auch immer sein mag, entdeckst woher dein Glück gekommen ist; sprichst du ein einziges Wort, so ist alles vorbei.“

Nun warf der Mann den wunderbaren Fisch wieder ins Wasser und gieng heim. Wo aber sonst seine Hütte gestanden hatte, da stand jetzt ein großes Schloß. Da machte er ein paar Augen, trat hinein und sah seine Frau, mit schönen Kleidern geputzt, in einer prächtigen Stube sitzen. Sie war ganz vergnügt und sprach „Mann, wie ist das auf einmal gekommen? das gefällt mir wohl.“ „Ja,“ sagte der Mann, „es gefällt mir auch, aber es hungert mich auch gewaltig, gib mir erst was zu essen.“ Sprach die Frau „ich habe nichts und weiß in dem neuen Haus nichts zu finden.“ „Das hat keine Noth,“ sagte der Mann, „dort sehe ich einen großen Schrank, den schließ einmal auf.“ Wie sie den Schrank aufschloß, stand da Kuchen, Fleisch, Obst, Wein, und lachte einen ordentlich an. Da rief die Frau voll Freude „Herz, was begehrst du nun?“ und sie setzten sich nieder, aßen und tranken zusammen. Wie sie satt waren, fragte die Frau „aber, Mann, wo kommt all dieser Reichthum her?“ „Ach,“ antwortete er, „frage mich nicht darum, ich darf dirs nicht sagen, wenn ichs jemand entdecke, so ist unser Glück wieder dahin.“ „Gut,“ sprach sie, „wenn ichs nicht wissen soll, so begehr ichs auch nicht zu wissen.“ Das war aber ihr Ernst nicht, es ließ ihr keine Ruhe Tag und Nacht, und sie quälte und stachelte den Mann so lang, bis er in der Ungeduld heraus sagte, es käme alles von einem wunderbaren goldenen Fisch, den er gefangen und dafür wieder in Freiheit gelassen hätte. Und wies heraus war, da verschwand alsbald das schöne Schloß mit dem Schrank, und sie saßen wieder in der alten Fischerhütte.

Der Mann mußte von vornen anfangen seinem Gewerbe nachgehen und fischen. Das Glück wollte es aber, daß er den goldenen Fisch noch einmal herauszog. „Hör,“ sprach der Fisch, „wenn du mich wieder ins Wasser wirfst, so will ich dir noch einmal das Schloß mit dem Schrank voll Gesottenem und Gebratenem zurückgeben; nur halt dich fest und verrath bei Leibe nicht von wem dus hast, sonst gehts wieder verloren.“ „Ich will mich schon hüten“ antwortete der Fischer und warf den Fisch in sein Wasser hinab. Daheim war nun alles wieder in voriger Herrlichkeit, und die Frau war in einer Freude über das Glück; aber die Neugierde ließ ihr doch keine Ruhe, daß sie nach ein paar Tagen wieder zu fragen anhub wie es zugegangen wäre und wie er es angefangen habe. Der Mann schwieg eine Zeitlang still dazu, endlich aber machte sie ihn so ärgerlich, daß er herausplatzte und das Geheimnis verrieth. In dem Augenblick verschwand das Schloß und sie saßen wieder in der alten Hütte. „Nun hast dus,“ sagte der Mann, „jetzt können wir wieder am Hungertuch nagen.“ „Ach,“ sprach die Frau, „ich will den Reichthum lieber nicht, wenn ich nicht weiß von wem er kommt; sonst habe ich doch keine Ruhe.“

Der Mann gieng wieder fischen, und über eine Zeit so wars nicht anders, er holte den Goldfisch zum drittenmal heraus. „Hör,“ sprach der Fisch: „ich sehe wohl, ich soll immer wieder in deine Hände fallen, nimm mich mit nach Haus, und zerschneid mich in sechs Stücke, zwei davon gieb deiner Frau zu essen, zwei deinem Pferd, und zwei leg in die Erde, so wirst du Segen davon haben.“ Der Mann nahm den Fisch mit nach Haus und that wie er ihm gesagt hatte. Es geschah aber, daß aus den zwei Stücken, die in die Erde gelegt waren, zwei goldene Lilien aufwuchsen, und daß das Pferd zwei goldene Füllen bekam, und des Fischers Frau zwei Kinder gebar, die ganz golden waren.

Die Kinder wuchsen heran, wurden groß und schön, und die Lilien und Pferde wuchsen mit ihnen. Da sprachen sie „Vater, wir wollen uns auf unsere goldenen Rosse setzen und in die Welt ausziehen.“ Er aber antwortete betrübt „wie will ichs aushalten, wenn ihr fortzieht und ich nicht weiß wies euch geht?“ Da sagten sie „die zwei goldenen Lilien bleiben hier, daran könnt ihr sehen, wies uns geht: sind sie frisch, so sind wir gesund; sind sie welk, so sind wir krank; fallen sie um, so sind wir todt.“ Sie ritten fort und kamen in ein Wirthshaus, darin waren viele Leute, und als sie die zwei Goldkinder erblickten, fiengen sie an zu lachen und zu spotten. Wie der eine das Gespött hörte, so schämte er sich, wollte nicht in die Welt, kehrte um und kam wieder heim zu seinem Vater. Der andere aber ritt fort und gelangte zu einem großen Wald. Und als er hinein reiten wollte, sprachen die Leute „es geht nicht, daß ihr durchreitet, der Wald ist voll Räuber, die werden übel mit euch umgehen, und gar, wenn sie sehen daß ihr golden seid und euere Pferde auch, so werden sie euch todt schlagen.“ Er aber ließ sich nicht schrecken und sprach „ich muß und soll hindurch.“ Da nahm er Bärenfelle und überzog sich und sein Pferd damit, daß nichts mehr vom Gold zu sehen war, und ritt getrost in den Wald hinein. Als er ein wenig fortgeritten war, so hörte er es in den Gebüschen rauschen und vernahm Stimmen, die miteinander sprachen. Von der einen Seite riefs „da ist einer,“ von der andern aber „laß ihn laufen, das ist ein Bärenhäuter, und arm und kahl, wie eine Kirchenmaus, was sollen wir mit ihm anfangen!“ So ritt das Goldkind glücklich durch den Wald und geschah ihm kein Leid.

Eines Tags kam er in ein Dorf, darin sah er ein Mädchen, das war so schön, daß er nicht glaubte es könnte ein schöneres auf der Welt sein. Und weil er eine so große Liebe zu ihm empfand, so gieng er zu ihm und sagte „ich habe dich von ganzem Herzen lieb, willst du meine Frau werden?“ Er gefiel aber auch dem Mädchen so sehr, daß es einwilligte und sprach „ja, ich will deine Frau werden und dir treu sein mein Lebelang.“ Nun hielten sie Hochzeit zusammen, und als sie eben in der größten Freude waren, kam der Vater der Braut heim, und als er sah daß seine Tochter Hochzeit machte, verwunderte er sich und sprach „wo ist der Bräutigam?“ Sie zeigten ihm das Goldkind, das hatte aber noch seine Bärenfelle um. Da sprach der Vater zornig „nimmermehr soll ein Bärenhäuter meine Tochter haben,“ und wollte ihn ermorden. Da bat ihn die Braut, was sie konnte, und sprach „er ist einmal mein Mann, und ich habe ihn von Herzen lieb,“ bis er sich endlich besänftigen ließ. Doch aber kams ihm nicht aus den Gedanken, so daß er am andern Morgen früh aufstand und seiner Tochter Mann sehen wollte, ob er ein gemeiner und verlumpter Bettler wäre. Wie er aber hinblickte, sah er einen herrlichen, goldenen Mann im Bette, und die abgeworfenen Bärenfelle lagen auf der Erde. Da gieng er zurück und dachte „wie gut ists, daß ich meinen Zorn bändigte, ich hätte eine große Missethat begangen.“

Dem Goldkind aber träumte er zöge hinaus auf die Jagd nach einem prächtigen Hirsch, und als er am Morgen erwachte, sprach er zu seiner Braut „ich will hinaus auf die Jagd.“ Ihr war angst, und sie bat ihn da zu bleiben und sagte „leicht kann dir ein großes Unglück begegnen,“ aber er antwortete „ich soll und muß fort.“ Da stand er auf und zog hinaus in den Wald, und gar nicht lange, so hielt auch ein stolzer Hirsch vor ihm, ganz nach seinem Traume. Er legte an und wollte ihn schießen, aber der Hirsch sprang fort. Da jagte er ihm nach, über Graben und durch Gebüsche, und ward nicht müde den ganzen Tag; am Abend aber verschwand der Hirsch vor seinen Augen. Und als das Goldkind sich umsah, so stand er vor einem kleinen Haus, darin saß eine Hexe. Er klopfte an, und ein Mütterchen kam heraus und fragte „was wollt ihr so spät noch mitten in dem großen Wald?“ Er sprach „habt ihr keinen Hirsch gesehen?“ „Ja,“ antwortete sie, „den Hirsch kenn ich wohl,“ und ein Hündlein, das mit ihr aus dem Haus gekommen war, bellte dabei den Mann heftig an. „Willst du schweigen, du böse Kröte,“ sprach er, „sonst schieß ich dich todt.“ Da rief die Hexe zornig „was, mein Hündchen willst du tödten!“ und verwandelte ihn alsbald, daß er da lag wie ein Stein, und seine Braut erwartete ihn umsonst und dachte „es ist gewiß eingetroffen, was mir so Angst machte und so schwer auf dem Herzen lag.“

Daheim aber stand der andere Bruder bei den Goldlilien, als plötzlich eine davon umfiel. „Ach Gott,“ sprach er, „meinem Bruder ist ein großes Unglück zugestoßen, ich muß fort, ob ich ihn vielleicht errette.“ Da sagte der Vater „bleib hier, wenn ich auch dich verliere, was soll ich anfangen?“ Er aber antwortete „ich soll und muß fort.“ Da setzte er sich auf sein goldenes Pferd und ritt fort und kam in den großen Wald, wo sein Bruder lag und Stein war. Die alte Hexe kam aus ihrem Haus, rief ihn an und wollte ihn auch berücken, aber er näherte sich nicht, sondern sprach „ich schieße dich nieder, wenn du meinen Bruder nicht wieder lebendig machst.“ Sie rührte, so ungerne sies auch that, den Stein mit dem Finger an, und alsbald erhielt er sein menschliches Leben zurück. Die beiden Goldkinder aber freuten sich, als sie sich wiedersahen, küßten und herzten sich, und ritten zusammen fort aus dem Wald, der eine zu seiner Braut, der andere heim zu seinem Vater. Da sprach der Vater „ich wußte wohl, daß du deinen Bruder erlöst hattest, denn die goldene Lilie ist auf einmal wieder aufgestanden und hat fortgeblüht.“ Nun lebten sie vergnügt, und es gieng ihnen wohl bis an ihr Ende.

Der Königssohn der sich vor nichts fürchtet

121. Märchen aus der Sammlung der Brüder Grimm


Es war einmal ein Königssohn, dem gefiels nicht mehr daheim in seines Vaters Haus, und weil er vor nichts Furcht hatte, so dachte er „ich will in die weite Welt gehen, da wird mir Zeit und Weile nicht lang, und ich werde wunderliche Dinge genug sehen.“ Also nahm er von seinen Eltern Abschied und gieng fort, immer zu, von Morgen bis Abend, und es war ihm einerlei wo hinaus ihn der Weg führte. Es trug sich zu, daß er vor eines Riesen Haus kam, und weil er müde war, setzte er sich vor die Thüre und ruhte. Und als er seine Augen so hin und her gehen ließ, sah er auf dem Hof des Riesen Spielwerk liegen: das waren ein paar mächtige Kugeln und Kegel so groß als ein Mensch. Über ein Weilchen bekam er Lust, stellte die Kegel auf und schob mit den Kugeln danach, schrie und rief wenn die Kegel fielen, und war guter Dinge. Der Riese hörte den Lärm, streckte seinen Kopf zum Fenster heraus und erblickte einen Menschen, der nicht größer war als andere, und doch mit seinen Kegeln spielte. „Würmchen,“ rief er, „was kegelst du mit meinen Kegeln? wer hat dir die Stärke dazu gegeben?“ Der Königssohn schaute auf, sah den Riesen an und sprach „o du Klotz, du meinst wohl, du hättest allein starke Arme? ich kann alles, wozu ich Lust habe.“ Der Riese kam herab, sah dem Kegeln ganz verwundert zu und sprach „Menschenkind, wenn du der Art bist, so geh und hol mir einen Apfel vom Baum des Lebens.“ „Was willst du damit?“ sprach der Königssohn. „Ich will den Apfel nicht für mich,“ antwortete der Riese, „aber ich habe eine Braut, die verlangt danach; ich bin weit in der Welt umher gegangen und kann den Baum nicht finden.“ „Ich will ihn schon finden,“ sagte der Königssohn, „und ich weiß nicht was mich abhalten soll, den Apfel herunter zu holen.“ Der Riese sprach „du meinst wohl das wäre so leicht? der Garten, worin der Baum steht, ist von einem eisernen Gitter umgeben, und vor dem Gitter liegen wilde Thiere, eins neben dem andern, die halten Wache und lassen keinen Menschen hinein.“ „Mich werden sie schon einlassen,“ sagte der Königssohn. „Ja, gelangst du auch in den Garten und siehst den Apfel am Baum hängen, so ist er doch noch nicht dein: es hängt ein Ring davor, durch den muß einer die Hand stecken, wenn er den Apfel erreichen und abbrechen will, und das ist noch keinem geglückt.“ „Mir solls schon glücken,“ sprach der Königssohn.

Da nahm er Abschied von dem Riesen, gieng fort über Berg und Thal, durch Felder und Wälder, bis er endlich den Wundergarten fand. Die Thiere lagen rings herum, aber sie hatten die Köpfe gesenkt und schliefen. Sie erwachten auch nicht, als er heran kam, sondern er trat über sie weg, stieg über das Gitter und kam glücklich in den Garten. Da stand mitten inne der Baum des Lebens, und die rothen Äpfel leuchteten an den Ästen. Er kletterte an dem Stamm in die Höhe, und wie er nach einem Apfel reichen wollte, sah er einen Ring davor hängen, aber er steckte seine Hand ohne Mühe hindurch und brach den Apfel. Der Ring schloß sich fest an seinen Arm und er fühlte wie auf einmal eine gewaltige Kraft durch seine Adern drang. Als er mit dem Apfel von dem Baum wieder herab gestiegen war, wollte er nicht über das Gitter klettern, sondern faßte das große Thor und brauchte nur einmal daran zu schütteln, so sprang es mit Krachen auf. Da gieng er hinaus, und der Löwe, der davor gelegen hatte, war wach geworden und sprang ihm nach, aber nicht in Wuth und Wildheit, sondern er folgte ihm demüthig als seinem Herrn.

Der Königssohn brachte dem Riesen den versprochenen Apfel und sprach „siehst du, ich habe ihn ohne Mühe geholt.“ Der Riese war froh daß sein Wunsch so bald erfüllt war, eilte zu seiner Braut und gab ihr den Apfel, den sie verlangt hatte. Es war eine schöne und kluge Jungfrau, und da sie den Ring nicht an seinem Arm sah, sprach sie „ich glaube nicht eher daß du den Apfel geholt hast, als bis ich den Ring an deinem Arm erblicke.“ Der Riese sagte „ich brauche nur heim zu gehen und ihn zu holen“ und meinte es wäre ein leichtes dem schwachen Menschen mit Gewalt weg zu nehmen, was er nicht gutwillig geben wollte. Er forderte also den Ring von ihm, aber der Königssohn weigerte sich. „Wo der Apfel ist muß auch der Ring sein,“ sprach der Riese, „gibst du ihn nicht gutwillig, so mußt du mit mir darum kämpfen.“

Sie rangen lange Zeit mit einander, aber der Riese konnte dem Königssohn, den die Zauberkraft des Ringes stärkte, nichts anhaben. Da sann der Riese auf eine List und sprach „mir ist warm geworden bei dem Kampf, und dir auch, wir wollen im Flusse baden und uns abkühlen, eh wir wieder anfangen.“ Der Königssohn, der von Falschheit nichts wußte, gieng mit ihm zu dem Wasser, streifte mit seinen Kleidern auch den Ring vom Arm und sprang in den Fluß. Alsbald griff der Riese nach dem Ring und lief damit fort, aber der Löwe, der den Diebstahl bemerkt hatte, setzte dem Riesen nach, riß den Ring ihm aus der Hand und brachte ihn seinem Herrn zurück. Da stellte sich der Riese hinter einen Eichbaum, und als der Königssohn beschäftigt war seine Kleider wieder anzuziehen, überfiel er ihn und stach ihm beide Augen aus.

Nun stand da der arme Königssohn, war blind und wußte sich nicht zu helfen. Da kam der Riese wieder herbei, faßte ihn bei der Hand, wie jemand der ihn leiten wollte, und führte ihn auf die Spitze eines hohen Felsens. Dann ließ er ihn stehen, und dachte „noch ein paar Schritte weiter, so stürzt er sich todt, und ich kann ihm den Ring abziehen.“ Aber der treue Löwe hatte seinen Herrn nicht verlassen, hielt ihn am Kleide fest und zog ihn allmälig wieder zurück. Als der Riese kam und den Todten berauben wollte, sah er daß seine List vergeblich gewesen war. „Ist denn ein so schwaches Menschenkind nicht zu verderben!“ sprach er zornig zu sich selbst, faßte den Königssohn und führte ihn auf einem andern Weg nochmals zu dem Abgrund: aber der Löwe, der die böse Absicht merkte, half seinem Herrn auch hier aus der Gefahr. Als sie nahe zum Rand gekommen waren, ließ der Riese die Hand des Blinden fahren und wollte ihn allein zurücklassen, aber der Löwe stieß den Riesen, daß er hinab stürzte und zerschmettert auf den Boden fiel.

Das treue Thier zog seinen Herrn wieder von dem Abgrund zurück und leitete ihn zu einem Baum, an dem ein klarer Bach floß. Der Königssohn setzte sich da nieder, der Löwe aber legte sich und spritzte mit seiner Tatze ihm das Wasser ins Antlitz. Kaum hatten ein paar Tröpfchen die Augenhöhlen benetzt, so konnte er wieder etwas sehen und bemerkte ein Vöglein, das flog ganz nah vorbei, stieß sich aber an einen Baumstamm: hierauf ließ es sich in das Wasser herab und badete sich darin, dann flog es auf, strich ohne anzustoßen zwischen den Bäumen hin, als hätte es sein Gesicht wieder bekommen. Da erkannte der Königssohn den Wink Gottes, neigte sich herab zu dem Wasser und wusch und badete sich darin das Gesicht. Und als er sich aufrichtete, hatte er seine Augen wieder so hell und rein, wie sie nie gewesen waren.

Der Königssohn dankte Gott für die große Gnade und zog mit seinem Löwen weiter in der Welt herum. Nun trug es sich zu daß er vor ein Schloß kam, welches verwünscht war. In dem Thor stand eine Jungfrau von schöner Gestalt und feinem Antlitz, aber sie war ganz schwarz. Sie redete ihn an und sprach „ach, könntest du mich erlösen aus dem bösen Zauber, der über mich geworfen ist.“ „Was soll ich thun?“ sprach der Königssohn. Die Jungfrau antwortete „drei Nächte mußt du in dem großen Saal des verwünschten Schlosses zubringen, aber es darf keine Furcht in dein Herz kommen. Wenn sie dich auf das ärgste quälen und du hältst es aus ohne einen Laut von dir zu geben, so bin ich erlöst; das Leben dürfen sie dir nicht nehmen.“ Da sprach der Königssohn „ich fürchte mich nicht, ich wills mit Gottes Hülfe versuchen.“ Also gieng er fröhlich in das Schloß, und als es dunkel ward, setzte er sich in den großen Saal und wartete. Es war aber still bis Mitternacht, da fieng plötzlich ein großer Lärm an, und aus allen Ecken und Winkeln kamen kleine Teufel herbei. Sie thaten als ob sie ihn nicht sähen, setzten sich mitten in die Stube, machten ein Feuer an und fiengen an zu spielen. Wenn einer verlor, sprach er „es ist nicht richtig, es ist einer da, der nicht zu uns gehört, der ist Schuld, daß ich verliere.“ „Wart ich komme, du hinter dem Ofen,“ sagte ein anderer. Das Schreien ward immer größer, so daß es niemand ohne Schrecken hätte anhören können. Der Königssohn blieb ganz ruhig sitzen und hatte keine Furcht: doch endlich sprangen die Teufel von der Erde auf und fielen über ihn her, und es waren so viele, daß er sich ihrer nicht erwehren konnte. Sie zerrten ihn auf dem Boden herum, zwickten, stachen, schlugen und quälten ihn, aber er gab keinen Laut von sich. Gegen Morgen verschwanden sie, und er war so abgemattet, daß er kaum seine Glieder regen konnte: als aber der Tag anbrach, da trat die schwarze Jungfrau zu ihm herein. Sie trug in ihrer Hand eine kleine Flasche, worin Wasser des Lebens war, damit wusch sie ihn, und alsbald fühlte er wie alle Schmerzen verschwanden und frische Kraft in seine Adern drang. Sie sprach „eine Nacht hast du glücklich ausgehalten, aber noch zwei stehen dir bevor.“ 

Da gieng sie wieder weg, und im Weggehen  bemerkte er daß ihre Füße weiß geworden waren. In der folgenden Nacht kamen die Teufel und fiengen ihr Spiel aufs neue an: sie fielen über den Königssohn her und schlugen ihn viel härter als in der vorigen Nacht, daß sein Leib voll Wunden war. Doch da er alles still ertrug, mußten sie von ihm lassen, und als die Morgenröthe anbrach, erschien die Jungfrau und heilte ihn mit dem Lebenswasser. Und als sie weggieng, sah er mit Freuden daß sie schon weiß geworden war bis zu den Fingerspitzen. Nun hatte er nur noch eine Nacht auszuhalten, aber die war die schlimmste. Der Teufelsspuk kam wieder: „bist du noch da?“ schrien sie, „du sollst gepeinigt werden daß dir der Athem stehen bleibt.“ Sie stachen und schlugen ihn, warfen ihn hin und her und zogen ihn an Armen und Beinen, als wollten sie ihn zerreißen: aber er duldete alles und gab keinen Laut von sich. Endlich verschwanden die Teufel, aber er lag da ohnmächtig und regte sich nicht: er konnte auch nicht die Augen aufheben, um die Jungfrau zu sehen, die herein kam und ihn mit dem Wasser des Lebens benetzte und begoß. Aber auf einmal war er von allen Schmerzen befreit und fühlte sich frisch und gesund, als wäre er aus einem Schlaf erwacht, und wie er die Augen aufschlug, so sah er die Jungfrau neben sich stehen, die war schneeweiß und schön, wie der helle Tag. „Steh auf,“ sprach sie, „und schwing dein Schwert dreimal über die Treppe, so ist alles erlöst.“ Und als er das gethan hatte, da war das ganze Schloß vom Zauber befreit, und die Jungfrau war eine reiche Königstochter. Die Diener kamen und sagten im großen Saale wäre die Tafel schon zubereitet und die Speisen aufgetragen. Da setzten sie sich nieder, aßen und tranken zusammen, und Abends ward in großen Freuden die Hochzeit gefeiert.





Donnerstag, 19. April 2012

Der Meisterdieb

192. Märchen aus der Sammlung der Brüder Grimm


Eines Tages saß vor einem ärmlichen Hause ein alter Mann mit seiner Frau, und wollten von der Arbeit ein wenig ausruhen. Da kam auf einmal ein prächtiger, mit vier Rappen bespannter Wagen herbeigefahren, aus dem ein reichgekleideter Herr stieg. Der Bauer stand auf, trat zu dem Herrn und fragte was sein Verlangen wäre und worin er ihm dienen könnte. Der Fremde reichte dem Alten die Hand und sagte „ich wünsche nichts als einmal ein ländliches Gericht zu genießen. Bereitet mir Kartoffel, wie ihr sie zu essen pflegt, dann will ich mich zu euerm Tisch setzen, und sie mit Freude verzehren.“ Der Bauer lächelte und sagte „ihr seid ein Graf oder Fürst, oder gar ein Herzog, vornehme Herrn haben manchmal solch ein Gelüsten; euer Wunsch soll aber erfüllt werden.“ Die Frau gieng in die Küche und sie fieng an Kartoffel zu waschen und zu reiben und wollte Klöße daraus bereiten, wie sie die Bauern essen. Während sie bei der Arbeit stand, sagte der Bauer zu dem Fremden „kommt einstweilen mit mir in meinen Hausgarten, wo ich noch etwas zu schaffen habe.“ In dem Garten hatte er Löcher gegraben und wollte jetzt Bäume einsetzen. „Habt ihr keine Kinder,“ fragte der Fremde, „die euch bei der Arbeit behilflich sein könnten?“ „Nein“ antwortete der Bauer; „ich habe freilich einen Sohn gehabt,“ setzte er hinzu, „aber der ist schon seit langer Zeit in die weite Welt gegangen. Es war ein ungerathener Junge, klug und verschlagen, aber er wollte nichts lernen und machte lauter böse Streiche; zuletzt lief er mir fort, und seitdem habe ich nichts von ihm gehört.“ Der Alte nahm ein Bäumchen, setzte es in ein Loch und stieß einen Pfahl daneben: und als er Erde hineingeschaufelt und sie festgestampft hatte, band er den Stamm unten, oben und in der Mitte mit einem Strohseil fest an den Pfahl. „Aber sagt mir,“ sprach der Herr, „warum bindet ihr den krummen knorrichten Baum, der dort in der Ecke fast bis auf den Boden gebückt liegt, nicht auch an einen Pfahl, wie diesen, damit er strack wächst?“ Der Alte lächelte und sagte „Herr, ihr redet wie ihrs versteht: man sieht wohl daß ihr euch mit der Gärtnerei nicht abgegeben habt. Der Baum dort ist alt und verknorzt, den kann niemand mehr gerad machen: Bäume muß man ziehen, so lange sie jung sind.“ „Es ist wie bei euerm Sohn,“ sagte der Fremde, „hättet ihr den gezogen, wie er noch jung war, so wäre er nicht fortgelaufen; jetzt wird er auch hart und knorzig geworden sein.“ „Freilich,“ antwortete der Alte, „es ist schon lange seit er fortgegangen ist; er wird sich verändert haben.“ „Würdet ihr ihn noch erkennen, wenn er vor euch träte?“ fragte der Fremde. „Am Gesicht schwerlich,“ antwortete der Bauer, „aber er hat ein Zeichen an sich, ein Muttermal auf der Schulter, das wie eine Bohne aussieht.“ Als er das gesagt hatte, zog der Fremde den Rock aus, entblößte seine Schulter und zeigte dem Bauer die Bohne. „Herr Gott,“ rief der Alte, „du bist wahrhaftig mein Sohn,“ und die Liebe zu seinem Kind regte sich in seinem Herzen. „Aber,“ setzte er hinzu, „wie kannst du mein Sohn sein, du bist ein großer Herr geworden und lebst in Reichthum und Überfluß? auf welchem Weg bist du dazu gelangt?“ „Ach, Vater,“ erwiderte der Sohn, „der junge Baum war an keinen Pfahl gebunden und ist krumm gewachsen: jetzt ist er zu alt; er wird nicht wieder gerad. Wie ich das alles erworben habe? ich bin ein Dieb geworden. Aber erschreckt euch nicht, ich bin ein Meisterdieb. Für mich gibt es weder Schloß noch Riegel: wonach mich gelüstet, das ist mein. Glaubt nicht daß ich stehle wie ein gemeiner Dieb, ich nehme nur vom Überfluß der Reichen. Arme Leute sind sicher: ich gebe ihnen lieber als daß ich ihnen etwas nehme. So auch was ich ohne Mühe List und Gewandtheit haben kann, das rühre ich nicht an.“ „Ach, mein Sohn,“ sagte der Vater, „es gefällt mir doch nicht, ein Dieb bleibt ein Dieb; ich sage dir es nimmt kein gutes Ende.“ Er führte ihn zu der Mutter, und als sie hörte daß es ihr Sohn war, weinte sie vor Freude, als er ihr aber sagte daß er ein Meisterdieb geworden wäre, so flossen ihr zwei Ströme über das Gesicht. Endlich sagte sie „wenn er auch ein Dieb geworden ist, so ist er doch mein Sohn, und meine Augen haben ihn noch einmal gesehen.“

Sie setzten sich an den Tisch, und er aß mit seinen Eltern wieder einmal die schlechte Kost, die er lange nicht gegessen hatte. Der Vater sprach „wenn unser Herr, der Graf drüben im Schlosse, erfährt wer du bist und was du treibst, so nimmt er dich nicht auf die Arme und wiegt dich darin, wie er that, als er dich am Taufstein hielt, sondern er läßt dich am Galgenstrick schaukeln.“ „Seid ohne Sorge, mein Vater, er wird mir nichts thun, denn ich verstehe mein Handwerk. Ich will heute noch selbst zu ihm gehen.“ Als die Abendzeit sich näherte, setzte sich der Meisterdieb in seinen Wagen und fuhr nach dem Schloß. Der Graf empfieng ihn mit Artigkeit, weil er ihn für einen vornehmen Mann hielt. Als aber der Fremde sich zu erkennen gab, so erbleichte er und schwieg eine Zeitlang ganz still. Endlich sprach er „du bist mein Pathe, deshalb will ich Gnade für Recht ergehen lassen und nachsichtig mit dir verfahren. Weil du dich rühmst ein Meisterdieb zu sein, so will ich deine Kunst auf die Probe stellen wenn du aber nicht bestehst, so mußt du mit des Seilers Tochter Hochzeit halten, und das Gekrächze der Raben soll deine Musik dabei sein.“ „Herr Graf,“ antwortete der Meister, „denkt euch drei Stücke aus, so schwer ihr wollt, und wenn ich eure Aufgabe nicht löse, so thut mit mir wie euch gefällt.“ Der Graf sann einige Augenblicke nach, dann sprach er „wohlan, zum ersten sollst du mir mein Leibpferd aus dem Stalle stehlen, zum andern sollst du mir und meiner Gemahlin, wenn wir eingeschlafen sind, das Betttuch unter dem Leib wegnehmen, ohne daß wirs merken, und dazu meiner Gemahlin den Trauring vom Finger: zum dritten und letzten sollst du mir den Pfarrer und Küster aus der Kirche wegstehlen. Merke dir alles wohl, denn es geht dir an den Hals.“

Der Meister begab sich in die zunächst liegende Stadt. Dort kaufte er einer alten Bauerfrau die Kleider ab, und zog sie an. Dann färbte er sich das Gesicht braun und malte sich noch Runzeln hinein, so daß ihn kein Mensch wieder erkannt hätte. Endlich füllte er ein Fäßchen mit altem Ungarwein, in welchen ein starker Schlaftrunk gemischt war. Das Fäßchen legte er auf eine Kötze, die er auf den Rücken nahm, und gieng mit bedächtigen, schwankenden Schritten zu dem Schloß des Grafen. Es war schon dunkel als er anlangte: er setzte sich in dem Hof auf einen Stein, fieng an zu husten, wie eine alte brustkranke Frau und rieb die Hände, als wenn er fröre. Vor der Thüre des Pferdestalls lagen Soldaten um ein Feuer: einer von ihnen bemerkte die Frau und rief ihr zu „komm näher, altes Mütterchen, und wärme dich bei uns. Du hast doch kein Nachtlager und nimmst es an, wo du es findest.“ Die Alte trippelte herbei, bat ihr die Kötze vom Rücken zu heben, und setzte sich zu ihnen ans Feuer. „Was hast du da in deinem Fäßchen, du alte Schachtel?“ fragte einer. „Einen guten Schluck Wein,“ antwortete sie, „ich ernähre mich mit dem Handel, für Geld und gute Worte gebe ich euch gerne ein Glas.“ „Nur her damit,“ sagte der Soldat, und als er ein Glas gekostet hatte, rief er „wenn der Wein gut ist, so trink ich lieber ein Glas mehr,“ ließ sich nochmals einschenken, und die andern folgten seinem Beispiel. „Heda, Kameraden,“ rief einer denen zu, die in dem Stall saßen, „hier ist ein Mütterchen, das hat Wein, der so alt ist wie sie selber, nehmt auch einen Schluck, der wärmt euch den Magen noch besser als unser Feuer.“ Die Alte trug ihr Fäßchen in den Stall. Einer hatte sich auf das gesattelte Leibpferd gesetzt, ein anderer hielt den Zaum in der Hand, ein dritter hatte den Schwanz gepackt. Sie schenkte ein so viel verlangt ward, bis die Quelle versiegte. Nicht lange so fiel dem einen der Zaum aus der Hand, er sank nieder und fieng an zu schnarchen, der andere ließ den Schwanz los, legte sich nieder und schnarchte noch lauter. Der welcher im Sattel saß, blieb zwar sitzen, bog sich aber mit dem Kopf fast bis auf den Hals des Pferdes, schlief und blies mit dem Mund wie ein Schmiedebalg. Die Soldaten draußen waren schon längst eingeschlafen, lagen auf der Erde und regten sich nicht, als wären sie von Stein. Als der Meisterdieb sah daß es ihm geglückt war, gab er dem einen statt des Zaums ein Seil in die Hand, und dem andern, der den Schwanz gehalten hatte, einen Strohwisch; aber was sollte er mit dem, der auf dem Rücken des Pferdes saß, anfangen? Herunter werfen wollte er ihn nicht, er hätte erwachen und ein Geschrei erheben können. Er wußte aber guten Rath, er schnallte die Sattelgurt auf, knüpfte ein paar Seile, die in Ringen an der Wand hiengen, an den Sattel fest, und zog den schlafenden Reiter mit dem Sattel in die Höhe, dann schlug er die Seile um den Pfosten und machte sie fest. Das Pferd hatte er bald von der Kette los gebunden, aber wenn er über das steinerne Pflaster des Hofs geritten wäre, so hätte man den Lärm im Schloß gehört. Er umwickelte ihm also zuvor die Hufen mit alten Lappen, führte es dann vorsichtig hinaus, schwang sich auf und jagte davon.

Als der Tag angebrochen war, sprengte der Meister auf dem gestohlenen Pferd zu dem Schloß. Der Graf war eben aufgestanden und blickte aus dem Fenster. „Guten Morgen, Herr Graf,“ rief er ihm zu, „hier ist das Pferd, das ich glücklich aus dem Stall geholt habe. Schaut nur, wie schön eure Soldaten da liegen und schlafen, und wenn ihr in den Stall gehen wollt, so werdet ihr sehen, wie bequem sichs eure Wächter gemacht haben.“ Der Graf mußte lachen, dann sprach er „einmal ist dirs gelungen, aber das zweitemal wirds nicht so glücklich ablaufen. Und ich warne dich, wenn du mir als Dieb begegnest, so behandle ich dich auch wie einen Dieb.“ Als die Gräfin Abends zu Bette gegangen war, schloß sie die Hand mit dem Trauring fest zu, und der Graf sagte „alle Thüren sind verschlossen und verriegelt, ich bleibe wach und will den Dieb erwarten; steigt er aber zum Fenster ein, so schieße ich ihn nieder.“ Der Meisterdieb aber gieng in der Dunkelheit hinaus zu dem Galgen, schnitt einen armen Sünder, der da hieng, von dem Strick ab und trug ihn auf dem Rücken nach dem Schloß. Dort stellte er eine Leiter an das Schlafgemach, setzte den Todten auf seine Schultern und fieng an hinauf zu steigen. Als er so hoch gekommen war, daß der Kopf des Todten in dem Fenster erschien, drückte der Graf, der in seinem Bett lauerte, eine Pistole auf ihn los: alsbald ließ der Meister den armen Sünder herab fallen, sprang selbst die Leiter herab, und versteckte sich in eine Ecke. Die Nacht war von dem Mond so weit erhellt, daß der Meister deutlich sehen konnte wie der Graf aus dem Fenster auf die Leiter stieg, herabkam und den Todten in den Garten trug. Dort fieng er an ein Loch zu graben, in das er ihn legen wollte. „Jetzt,“ dachte der Dieb, „ist der günstige Augenblick gekommen,“ schlich behende aus seinem Winkel und stieg die Leiter hinauf, geradezu ins Schlafgemach der Gräfin. „Liebe Frau,“ fieng er mit der Stimme des Grafen an, „der Dieb ist todt, aber er ist doch mein Pathe und mehr ein Schelm als ein Bösewicht gewesen: ich will ihn der öffentlichen Schande nicht preis geben; auch mit den armen Eltern habe ich Mitleid. Ich will ihn, bevor der Tag anbricht, selbst im Garten begraben, damit die Sache nicht ruchtbar wird. Gib mir auch das Betttuch, so will ich die Leiche einhüllen und ihn nicht wie einen Hund verscharren.“ Die Gräfin gab ihm das Tuch. „Weißt du was,“ sagte der Dieb weiter, „ich habe eine Anwandlung von Großmuth, gib mir noch den Ring; der Unglückliche hat sein Leben gewagt, so mag er ihn ins Grab mitnehmen.“ Sie wollte dem Grafen nicht entgegen sein, und obgleich sie es ungern that, so zog sie doch den Ring vom Finger und reichte ihn hin. Der Dieb machte sich mit beiden Stücken fort und kam glücklich nach Haus, bevor der Graf im Garten mit seiner Todtengräberarbeit fertig war.

Was zog der Graf für ein langes Gesicht, als am andern Morgen der Meister kam und ihm das Betttuch und den Ring brachte. „Kannst du hexen?“ sagte er zu ihm, „wer hat dich aus dem Grab geholt, in das ich selbst dich gelegt habe, und hat dich wieder lebendig gemacht?“ „Mich habt ihr nicht begraben,“ sagte der Dieb, „sondern den armen Sünder am Galgen“ und erzählte ausführlich wie es zugegangen war; und der Graf mußte ihm zugestehen daß er ein gescheidter und listiger Dieb wäre. „Aber noch bist du nicht zu Ende,“ setzte er hinzu, „du hast noch die dritte Aufgabe zu lösen, und wenn dir das nicht gelingt, so hilft dir alles nichts.“ Der Meister lächelte und gab keine Antwort.

Als die Nacht eingebrochen war, kam er mit einem langen Sack auf dem Rücken, einem Bündel unter dem Arm, und einer Laterne in der Hand zu der Dorfkirche gegangen. In dem Sack hatte er Krebse, in dem Bündel aber kurze Wachslichter. Er setzte sich auf den Gottesacker, holte einen Krebs heraus und klebte ihm ein Wachslichtchen auf den Rücken; dann zündete er das Lichtchen an, setzte den Krebs auf den Boden und ließ ihn kriechen. Er holte einen zweiten aus dem Sack, machte es mit diesem ebenso und fuhr fort bis auch der letzte aus dem Sacke war. Hierauf zog er ein langes schwarzes Gewand an, das wie eine Mönchskutte aussah und klebte sich einen grauen Bart an das Kinn. Als er endlich ganz unkenntlich war, nahm er den Sack, in dem die Krebse gewesen waren, gieng in die Kirche und stieg auf die Kanzel. Die Thurmuhr schlug eben zwölf: als der letzte Schlag verklungen war, rief er mit lauter gellender Stimme „hört an, ihr sündigen Menschen, das Ende aller Dinge ist gekommen, der jüngste Tag ist nahe: hört an, hört an. Wer mit mir in den Himmel will, der krieche in den Sack. Ich bin Petrus, der die Himmelsthüre öffnet und schließt. Seht ihr draußen auf dem Gottesacker wandeln die Gestorbenen und sammeln ihre Gebeine zusammen. Kommt, kommt und kriecht in den Sack, die Welt geht unter.“ Das Geschrei erschallte durch das ganze Dorf. Der Pfarrer und der Küster, die zunächst an der Kirche wohnten, hatten es zuerst vernommen, und als sie die Lichter erblickten, die auf dem Gottesacker umher wandelten, merkten sie daß etwas Ungewöhnliches vorgieng und traten sie in die Kirche ein. Sie hörten der Predigt eine Weile zu, da stieß der Küster den Pfarrer an und sprach „es wäre nicht übel, wenn wir die Gelegenheit benutzten und zusammen vor dem Einbruch des jüngsten Tags auf eine leichte Art in den Himmel kämen.“ „Freilich,“ erwiederte der Pfarrer, „das sind auch meine Gedanken gewesen; habt ihr Lust, so wollen wir uns auf den Weg machen.“ „Ja,“ antwortete der Küster, „aber ihr, Herr Pfarrer, habt den Vortritt, ich folge nach.“ Der Pfarrer schritt also vor und stieg auf die Kanzel, wo der Meister den Sack öffnete. Der Pfarrer kroch zuerst hinein, dann der Küster. Gleich band der Meister den Sack fest zu, packte ihn am Bausch und schleifte ihn die Kanzeltreppe hinab: so oft die Köpfe der beiden Thoren auf die Stufen aufschlugen, rief er „jetzt gehts schon über die Berge.“ Dann zog er sie auf gleiche Weise durch das Dorf, und wenn sie durch Pfützen kamen, rief er „jetzt gehts schon durch die nassen Wolken,“ und als er sie endlich die Schloßtreppe hinaufzog, so rief er „jetzt sind wir auf der Himmelstreppe und werden bald im Vorhof sein.“ Als er oben angelangt war, schob er den Sack in den Taubenschlag, und als die Tauben flatterten, sagte er „hört ihr wie die Engel sich freuen und mit den Fittichen schlagen.“ Dann schob er den Riegel vor und gieng fort.

Am andern Morgen begab er sich zu dem Grafen, und sagte ihm daß er auch die dritte Aufgabe gelöst und den Pfarrer und Küster aus der Kirche weggeführt hätte. „Wo hast du sie gelassen?“ fragte der Herr. „Sie liegen in einem Sack oben auf dem Taubenschlag und bilden sich ein sie wären im Himmel.“ Der Graf stieg selbst hinauf und überzeugte sich daß er die Wahrheit gesagt hatte. Als er den Pfarrer und Küster aus dem Gefängnis befreit hatte, sprach er „du bist ein Erzdieb, und hast deine Sache gewonnen. Für diesmal kommst du mit heiler Haut davon, aber mache daß du aus meinem Land fortkommst, denn wenn du dich wieder darin betreten läßt, so kannst du auf deine Erhöhung am Galgen rechnen.“ Der Erzdieb nahm Abschied von seinen Eltern, gieng wieder in die weite Welt, und niemand hat wieder etwas von ihm gehört.




Sonntag, 15. April 2012

Kurt Tucholsky











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Der goldene Vogel

57. Märchen aus der Sammlung der Brüder Grimm


Es war vor Zeiten ein König, der hatte einen schönen Lustgarten hinter seinem Schloß, darin stand ein Baum, der goldene Äpfel trug. Als die Äpfel reiften, wurden sie gezählt, aber gleich den nächsten Morgen fehlte einer. Das ward dem König gemeldet, und er befahl daß alle Nächte unter dem Baume Wache sollte gehalten werden. Der König hatte drei Söhne, davon schickte er den ältesten bei einbrechender Nacht in den Garten: wie es aber Mitternacht war, konnte er sich des Schlafes nicht erwehren, und am nächsten Morgen fehlte wieder ein Apfel. In der folgenden Nacht mußte der zweite Sohn wachen, aber dem ergieng es nicht besser: als es zwölf Uhr geschlagen hatte, schlief er ein, und Morgens fehlte ein Apfel. Jetzt kam die Reihe zu wachen an den dritten Sohn, der war auch bereit, aber der König traute ihm nicht viel zu und meinte er würde noch weniger ausrichten als seine Brüder: endlich aber gestattete er es doch. Der Jüngling legte sich also unter den Baum, wachte und ließ den Schlaf nicht Herr werden. Als es zwölf schlug, so rauschte etwas durch die Luft, und er sah im Mondschein einen Vogel daher fliegen, dessen Gefieder ganz von Gold glänzte. Der Vogel ließ sich auf dem Baume nieder und hatte eben einen Apfel abgepickt, als der Jüngling einen Pfeil nach ihm abschoß. Der Vogel entflog, aber der Pfeil hatte sein Gefieder getroffen, und eine seiner goldenen Federn fiel herab. Der Jüngling hob sie auf, brachte sie am andern Morgen dem König und erzählte ihm was er in der Nacht gesehen hatte. Der König versammelte seinen Rath, und jedermann erklärte eine Feder wie diese sei mehr werth als das gesammte Königreich. „Ist die Feder so kostbar,“ erklärte der König, „so hilft mir auch die eine nichts, sondern ich will und muß den ganzen Vogel haben.“

Der älteste Sohn machte sich auf den Weg, verließ sich auf seine Klugheit und meinte den goldenen Vogel schon zu finden. Wie er eine Strecke gegangen war, sah er an dem Rande eines Waldes einen Fuchs sitzen, legte seine Flinte an und zielte auf ihn. Der Fuchs rief „schieß mich nicht, ich will dir dafür einen guten Rath geben. Du bist auf dem Weg nach dem goldenen Vogel, und wirst heut Abend in ein Dorf kommen, wo zwei Wirthshäuser einander gegenüber stehen. Eins ist hell erleuchtet, und es geht darin lustig her: da kehr aber nicht ein, sondern geh ins andere, wenn es dich auch schlecht ansieht.“ „Wie kann mir wohl so ein albernes Thier einen vernünftigen Rath ertheilen!“ dachte der Königssohn und drückte los, aber er fehlte den Fuchs, der den Schwanz streckte und schnell in den Wald lief. Darauf setzte er seinen Weg fort und kam Abends in das Dorf, wo die beiden Wirthshäuser standen: in dem einen ward gesungen und gesprungen, das andere hatte ein armseliges betrübtes Ansehen. „Ich wäre wohl ein Narr,“ dachte er, „wenn ich in das lumpige Wirthshaus gienge und das schöne liegen ließ.“ Also gieng er in das lustige ein, lebte da in Saus und Braus, und vergaß den Vogel seinen Vater und alle guten Lehren.

Als eine Zeit verstrichen und der älteste Sohn immer und immer nicht nach Haus gekommen war, so machte sich der zweite auf den Weg und wollte den goldenen Vogel suchen. Wie dem ältesten begegnete ihm der Fuchs und gab ihm den guten Rath, den er nicht achtete. Er kam zu den beiden Wirthshäusern, wo sein Bruder am Fenster des einen stand, aus dem der Jubel erschallte, und ihn anrief. Er konnte nicht widerstehen, gieng hinein und lebte nur seinen Lüsten.

Wiederum verstrich eine Zeit, da wollte der jüngste Königssohn ausziehen und sein Heil versuchen, der Vater aber wollte es nicht zulassen. „Es ist vergeblich,“ sprach er, „der wird den goldenen Vogel noch weniger finden als seine Brüder, und wenn ihm ein Unglück zustößt, so weiß er sich nicht zu helfen; es fehlt ihm am Besten.“ Doch endlich, wie keine Ruhe mehr da war, ließ er ihn ziehen. Vor dem Walde saß wieder der Fuchs, bat um sein Leben und ertheilte den guten Rath. Der Jüngling war gutmüthig und sagte „sei ruhig, Füchslein, ich thue dir nichts zu Leid.“ „Es soll dich nicht gereuen,“ antwortete der Fuchs, „und damit du schneller fortkommst, so steig hinten auf meinen Schwanz.“ Und kaum hat er sich aufgesetzt, so fieng der Fuchs an zu laufen, und da giengs über Stock und Stein daß die Haare im Winde pfiffen. Als sie zu dem Dorfe kamen, stieg der Jüngling ab, befolgte den guten Rath und kehrte, ohne sich umzusehen, in das geringe Wirthshaus ein, wo er ruhig übernachtete. Am andern Morgen, wie er auf das Feld kam, saß da schon der Fuchs und sagte „ich will dir weiter sagen was du zu thun hast. Geh du immer gerade aus, endlich wirst du an ein Schloß kommen, vor dem eine ganze Schaar Soldaten liegt, aber kümmre dich nicht darum, denn sie werden alle schlafen und schnarchen: geh mitten durch und geradeswegs in das Schloß hinein, und geh durch alle Stuben, zuletzt wirst du in eine Kammer kommen, wo ein goldener Vogel in einem hölzernen Käfig hängt. Neben an steht ein leerer Goldkäfig zum Prunk, aber hüte dich daß du den Vogel nicht aus seinem schlechten Käfig heraus nimmst und in den prächtigen thust, sonst möchte es dir schlimm ergehen.“ Nach diesen Worten streckte der Fuchs wieder seinen Schwanz aus, und der Königssohn setzte sich auf: da giengs über Stock und Stein daß die Haare im Winde pfiffen. Als er bei dem Schloß angelangt war, fand er alles so wie der Fuchs gesagt hatte. Der Königssohn kam in die Kammer, wo der goldene Vogel in einem hölzernen Käfig saß, und ein goldener stand daneben: die drei goldenen Äpfel aber lagen in der Stube umher. Da dachte er es wäre lächerlich, wenn er den schönen Vogel in dem gemeinen und häßlichen Käfig lassen wollte, öffnete die Thüre, packte ihn und setzte ihn in den goldenen. In dem Augenblick aber that der Vogel einen durchdringenden Schrei. Die Soldaten erwachten, stürzten herein und führten ihn ins Gefängnis. Den andern Morgen wurde er vor ein Gericht gestellt und, da er alles bekannte, zum Tode verurtheilt. Doch sagte der König er wollte ihm unter einer Bedingung das Leben schenken, wenn er ihm nämlich das goldene Pferd brächte, welches noch schneller liefe als der Wind, und dann sollte er obendrein zur Belohnung den goldenen Vogel erhalten.

Der Königssohn machte sich auf den Weg, seufzte aber und war traurig, denn wo sollte er das goldene Pferd finden? Da sah er auf einmal seinen alten Freund, den Fuchs, an dem Wege sitzen. „Siehst du,“ sprach der Fuchs, „so ist es gekommen, weil du mir nicht gehört hast. Doch sei gutes Muthes, ich will mich deiner annehmen und dir sagen wie du zu dem goldenen Pferd gelangst. Du mußt gerades Weges fortgehen, so wirst du zu einem Schloß kommen, wo das Pferd im Stalle steht. Vor dem Stall werden die Stallknechte liegen, aber sie werden schlafen und schnarchen, und du kannst geruhig das goldene Pferd herausführen. Aber eins mußt du in acht nehmen, leg ihm den schlechten Sattel von Holz und Leder auf und ja nicht den goldenen, der dabei hängt, sonst wird es dir schlimm ergehen.“ Dann streckte der Fuchs seinen Schwanz aus, der Königssohn setzte sich auf, und es gieng fort über Stock und Stein daß die Haare im Winde pfiffen. Alles traf so ein, wie der Fuchs gesagt hatte, er kam in den Stall, wo das goldene Pferd stand: als er ihm aber den schlechten Sattel auflegen wollte, so dachte er „ein so schönes Thier wird verschändet, wenn ich ihm nicht den guten Sattel auflege, der ihm gebührt.“ Kaum aber berührte der goldene Sattel das Pferd, so fieng es an laut zu wiehern. Die Stallknechte erwachten, ergriffen den Jüngling und warfen ihn ins Gefängnis. Am andern Morgen wurde er vom Gerichte zum Tode verurtheilt, doch versprach ihm der König das Leben zu schenken und dazu das goldene Pferd, wenn er die schöne Königstochter vom goldenen Schlosse herbeischaffen könnte.

Mit schwerem Herzen machte sich der Jüngling auf den Weg, doch zu seinem Glücke fand er bald den treuen Fuchs. „Ich sollte dich nur deinem Unglück überlassen,“ sagte der Fuchs, „aber ich habe Mitleiden mit dir und will dir noch einmal aus deiner Noth helfen. Dein Weg führt dich gerade zu dem goldenen Schlosse: Abends wirst du anlangen, und Nachts, wenn alles still ist, dann geht die schöne Königstochter ins Badehaus, um da zu baden. Und wenn sie hineingeht, so spring auf sie zu und gib ihr einen Kuß, dann folgt sie dir, und du kannst sie mit dir fortführen: nur dulde nicht daß sie vorher von ihren Eltern Abschied nimmt, sonst kann es dir schlimm ergehen.“ Dann streckte der Fuchs seinen Schwanz, der Königssohn setzte sich auf, und so gieng es über Stock und Stein daß die Haare im Winde pfiffen. Als er beim goldenen Schloß ankam, war es so wie der Fuchs gesagt hatte. Er wartete bis um Mitternacht, als alles in tiefem Schlaf lag, und die schöne Jungfrau ins Badehaus gieng, da sprang er hervor und gab ihr einen Kuß. Sie sagte sie wollte gerne mit ihm gehen, bat ihn aber flehentlich und mit Thränen er möchte ihr erlauben vorher von ihren Eltern Abschied zu nehmen. Er widerstand anfänglich ihren Bitten, als sie aber immer mehr weinte und ihm zu Fuß fiel, so gab er endlich nach. Kaum aber war die Jungfrau zu dem Bette ihres Vaters getreten, so wachte er und alle anderen, die im Schloß waren, auf, und der Jüngling ward fest gehalten und ins Gefängnis gesetzt.

Am andern Morgen sprach der König zu ihm „dein Leben ist verwirkt, und du kannst bloß Gnade finden wenn du den Berg abträgst, der vor meinen Fenstern liegt, und über welchen ich nicht hinaus sehen kann, und das mußt du binnen acht Tagen zu Stande bringen. Gelingt dir das, so sollst du meine Tochter zur Belohnung haben.“ Der Königssohn fieng an, grub und schaufelte ohne abzulassen, als er aber nach sieben Tagen sah wie wenig er ausgerichtet hatte, und alle seine Arbeit so gut wie nichts war, so fiel er in große Traurigkeit und gab alle Hoffnung auf. Am Abend des siebenten Tags aber erschien der Fuchs und sagte „du verdienst nicht daß ich mich deiner annehme, aber geh nur hin und lege dich schlafen, ich will die Arbeit für dich thun.“ Am andern Morgen als er erwachte und zum Fenster hinaus sah, so war der Berg verschwunden. Der Jüngling eilte voll Freude zum König und meldete ihm daß die Bedingung erfüllt wäre, und der König mochte wollen oder nicht, er mußte Wort halten und ihm seine Tochter geben.

Nun zogen die beiden zusammen fort, und es währte nicht lange, so kam der treue Fuchs zu ihnen. „Das beste hast du zwar,“ sagte er, „aber zu der Jungfrau aus dem goldenen Schloß gehört auch das goldene Pferd.“ „Wie soll ich das bekommen?“ fragte der Jüngling. „Das will ich dir sagen,“ antwortete der Fuchs, „zuerst bring dem Könige, der dich nach dem goldenen Schlosse geschickt hat, die schöne Jungfrau. Da wird unerhörte Freude sein, sie werden dir das goldene Pferd gerne geben und werden dirs vorführen. Setz dich alsbald auf und reiche allen zum Abschied die Hand herab, zuletzt der schönen Jungfrau, und wenn du sie gefaßt hast, so zieh sie mit einem Schwung hinauf und jage davon: und niemand ist im Stande dich einzuholen, denn das Pferd läuft schneller als der Wind.“

Alles wurde glücklich vollbracht, und der Königssohn führte die schöne Jungfrau auf dem goldenen Pferde fort. Der Fuchs blieb nicht zurück und sprach zu dem Jüngling „jetzt will ich dir auch zu dem goldenen Vogel verhelfen. Wenn du nahe bei dem Schlosse bist, wo sich der Vogel befindet, so laß die Jungfrau absitzen, und ich will sie in meine Obhut nehmen. Dann reit mit dem goldenen Pferd in den Schloßhof: bei dem Anblick wird große Freude sein, und sie werden dir den goldenen Vogel herausbringen. Wie du den Käfig in der Hand hast, so jage zu uns zurück und hole dir die Jungfrau wieder ab.“ Als der Anschlag geglückt war und der Königssohn mit seinen Schätzen heim reiten wollte, so sagte der Fuchs „nun sollst du mich für meinen Beistand belohnen.“ „Was verlangst du dafür?“ fragte der Jüngling. „Wenn wir dort in den Wald kommen, so schieß mich todt und hau mir Kopf und Pfoten ab.“ „Das wäre eine schöne Dankbarkeit,“ sagte der Königssohn, „das kann ich dir unmöglich gewähren.“ Sprach der Fuchs „wenn du es nicht thun willst, so muß ich dich verlassen; ehe ich aber fortgehe, will ich dir noch einen guten Rath geben. Vor zwei Stücken hüte dich, kauf kein Galgenfleisch und setze dich an keinen Brunnenrand.“ Damit lief er in den Wald.

Der Jüngling dachte „das ist ein wunderliches Thier, das seltsame Grillen hat. Wer wird Galgenfleisch kaufen! und die Lust mich an einen Brunnenrand zu setzen ist mir noch niemals gekommen.“ Er ritt mit der schönen Jungfrau weiter, und sein Weg führte ihn wieder durch das Dorf, in welchem seine beiden Brüder geblieben waren. Da war großer Auflauf und Lärmen, und als er fragte was da vor wäre, hieß es, es sollten zwei Leute aufgehängt werden. Als er näher hinzu kam, sah er daß es seine Brüder waren, die allerhand schlimme Streiche verübt und all ihr Gut verthan hatten. Er fragte ob sie nicht könnten frei gemacht werden. „Wenn ihr für sie bezahlen wollt,“ antworteten die Leute, „aber was wollt ihr an die schlechten Menschen euer Geld hängen und sie loskaufen.“ Er besann sich aber nicht, zahlte für sie, und als sie frei gegeben waren, so setzten sie die Reise gemeinschaftlich fort.

Sie kamen in den Wald, wo ihnen der Fuchs zuerst begegnet war, und da es darin kühl und lieblich war, und die Sonne heiß brannte, so sagten die beiden Brüder „laßt uns hier an dem Brunnen ein wenig ausruhen, essen und trinken.“ Er willigte ein, und während des Gesprächs vergaß er sich, setzte sich an den Brunnenrand und versah sich nichts arges. Aber die beiden Brüder warfen ihn rückwärts in den Brunnen, nahmen die Jungfrau, das Pferd und den Vogel, und zogen heim zu ihrem Vater. „Da bringen wir nicht bloß den goldenen Vogel,“ sagten sie, „wir haben auch das goldene Pferd und die Jungfrau von dem goldenen Schlosse erbeutet.“ Da war große Freude, aber das Pferd das fraß nicht, der Vogel der pfiff nicht, und die Jungfrau die saß und weinte.

Der jüngste Bruder war aber nicht umgekommen. Der Brunnen war zum Glück trocken, und er fiel auf weiches Moos ohne Schaden zu nehmen, konnte aber nicht wieder heraus. Auch in dieser Noth verließ ihn der treue Fuchs nicht, kam zu ihm herabgesprungen und schalt ihn daß er seinen Rath vergessen hätte. „Ich kanns aber doch nicht lassen,“ sagte er, „ich will dir wieder an das Tageslicht helfen.“ Er sagte ihm er sollte seinen Schwanz anpacken und sich fest daran halten, und zog ihn dann in die Höhe. „Noch bist du nicht aus aller Gefahr,“ sagte der Fuchs, „deine Brüder waren deines Todes nicht gewis und haben den Wald mit Wächtern umstellt, die sollen dich tödten, wenn du dich sehen ließest.“ Da saß ein armer Mann am Weg, mit dem vertauschte der Jüngling die Kleider und gelangte auf diese Weise an des Königs Hof. Niemand erkannte ihn, aber der Vogel fieng an zu pfeifen, das Pferd fieng an zu fressen, und die schöne Jungfrau hörte Weinens auf. Der König fragte verwundert „was hat das zu bedeuten?“ Da sprach die Jungfrau „ich weiß es nicht, aber ich war so traurig und nun bin ich so fröhlich. Es ist mir, als wäre mein rechter Bräutigam gekommen.“ Sie erzählte ihm alles was geschehen war, obgleich die andern Brüder ihr den Tod angedroht hatten, wenn sie etwas verrathen würde. Der König hieß alle Leute vor sich bringen, die in seinem Schloß waren, da kam auch der Jüngling als ein armer Mann in seinen Lumpenkleidern, aber die Jungfrau erkannte ihn gleich und fiel ihm um den Hals. Die gottlosen Brüder wurden ergriffen und hingerichtet, er aber ward mit der schönen Jungfrau vermählt und zum Erben des Königs bestimmt.

Aber wie ist es dem armen Fuchs ergangen? Lange danach gieng der Königssohn einmal wieder in den Wald, da begegnete ihm der Fuchs und sagte „du hast nun alles, was du dir wünschen kannst, aber mit meinem Unglück will es kein Ende nehmen, und es steht doch in deiner Macht mich zu erlösen,“ und abermals bat er flehentlich er möchte ihn todtschießen und ihm Kopf und Pfoten abhauen. Also that ers, und kaum war es geschehen, so verwandelte sich der Fuchs in einen Menschen, und war niemand anders als der Bruder der schönen Königstochter, der endlich von dem Zauber, der auf ihm lag, erlöst war. Und nun fehlte nichts mehr zu ihrem Glück so lange sie lebten.

Funklöcher und Frequenzstörungen

Der Familien Funk hilft explizit gegen Funklöcher und Frequenzstörungen.